Sei anonym: Yes we camp

Auch wenn die Medien kaum mehr über sie berich­ten, ist die Occupy-Bewe­gung nicht einge- schla­fen. Im Kreis der Akti­vis­ten kann jeder sein Thema einbringen.

Sei anonym: Titelthema von Berlins Studentenmagazin Spree (Foto: Albrecht Noack)

Am Mitt­woch­mor­gen um vier Uhr ist selbst auf den Stra­ßen von Berlin nicht viel los. Wäh­rend die Meis­ten noch schla­fen, ist Isi auf dem Weg zur Ora­ni­en­bur­ger Straße. Übers Inter­net erreichte sie der Aufruf von den Künst­lern im Tache­les, denn an diesem Mitt­woch soll das Kunst­haus ver­schlos­sen werden. Isi weiß zwar, dass sie allein nichts aus­rich­ten kann, doch wenn viele kommen, kann sich das ändern. Dem Scho­ko­la­den in der Nähe des Rosentha­ler Plat­zes hat der Druck der Straße gehol­fen – die dro­hende Räu­mung wurde mitt­ler­weile abge­wen­det. An diesem Mitt­woch waren auch im Tache­les genug Leute und es blieb geöffnet.

Versammelt gegen das Establishment

Isi trifft sich seit Okto­ber mit vielen Men­schen auf Asam­bleas, um über poli­ti­sche Themen zu dis­ku­tie­ren. Dieser lose Zusam­men­schluss von Indi­vi­duen, ohne zen­trale Orga­ni­sa­tion, wird gern mit dem Syn­onym „Occupy“ beschrie­ben. Eine
Bewe­gung, die nicht plötz­lich erschien, son­dern Konsequenz
der Ent­wick­lun­gen der letz­ten Jahr­zehnte ist. Jeder Mensch hat seine eige­nen Themen, über die er sich empört – Krieg, Hunger, Waf­fen­han­del, Sozial- und/oder Demo­kra­tie­ab­bau. Ein Kern der Bewe­gung sei die Unzu­frie­den­heit mit den bestehen­den Ver­hält­nis­sen und das Gefühl, durch die Wahlen nicht viel ver­än­dern zu können, findet ein Akti­vist. Vor­bild waren die Pro­teste in Spa­nien. Viele junge Men­schen zel­te­ten auf öffent­li­chen Plät­zen, denn zu Hause war­te­ten keine Ver­pflich­tun­gen auf sie: Mitt­ler­weile ist jeder Zweite unter 25 Jahren in Spa­nien trotz Bil­dung arbeitslos.

Anonym in der Masse

Von diesen Plät­zen stammt auch der Begriff Asam­blea, was Plenum oder Voll­ver­samm­lung bedeu­tet. Hier ist jeder gleich­be­rech­tigt, denn ein wich­ti­ges Prin­zip der gesam­ten Bewe­gung ist, dass es keine Anfüh­rer gibt. Um die Kom­mu­ni­ka­tion zu erleich­tern, wurden spe­zi­elle Hand­zei­chen ein­ge­führt, um bei­spiels­weise Zustim­mung oder Ableh­nung laut­los aus­zu­drü­cken. Ein ande­res Mittel ist das mensch­li­che Mikro­fon. Dabei trägt der Spre­cher sein Anlie­gen in kurzen Teil­sät­zen vor, die von den umste­hen­den Men­schen laut wie­der­holt werden. Man muss nicht auf­ste­hen und nicht über­mä­ßig laut spre­chen, die Bot­schaft dringt über die anonyme Masse in die Welt.

Protestcamps in Europa

Dem spa­ni­schen Bei­spiel fol­gend began­nen Men­schen auf der ganzen Welt, Pro­test­camps zu errich­ten. Eines der Bekann­tes­ten ist das „Occupy Wall Street“-Camp in New York. Zu diesem Zeit­punkt gab es auch bereits in Frank­reich, Israel und Deutsch­land Camps. So ver­such­ten Ber­li­ner Akti­vis­ten im Sommer 2011 mehr­fach ein Camp auf dem Alex­an­der­platz zu errich­ten, jedoch ohne Erfolg und Medi­en­prä­senz. Der Tag, der ein brei­tes Echo aus­löste, war der 15. Okto­ber 2011. Im Inter­net, dem Haupt­me­dium der Bewe­gung, wurde mit Tweets und You­tube-Videos zu einem inter­na­tio­na­len Akti­ons­tag auf­ge­ru­fen. Welt­weit betei­lig­ten sich tau­sende Men­schen in zahl­rei­chen Städ­ten an Demonstrationen

Asamblea auf Reichstagswiese

In Berlin war Isi auf der Reichs­tags­wiese: „Für mich war es die erste Asam­blea, an der ich teil­nahm. Lange dau­erte sie nicht, weil die Poli­zei anfing, die Sitz­un­ter­la­gen der Teil­neh­mer zu ent­fer­nen und uns dann von der Wiese ver­trieb.“ Doch die Men­schen gaben nicht auf und trafen sich von da an jeden Tag auf der Reichs­tags­wiese. Noch im Okto­ber ent­stand in Berlin das erste Camp auf dem Gelände der Paro­chi­al­kir­che. Ende Novem­ber zogen die Pro­test­cam­per auf das grö­ßere Gelände des Bun­des­pres­s­estran­des. Dieses bisher letzte Camp musste der Bau­stelle für das neue For­schungs­mi­nis­te­rium weichen.

Protest auf Alexanderplatz

Nichts­des­to­trotz gehen die Dis­kus­sio­nen und die poli­ti­sche Arbeit weiter. Gemein­sam finden Aktio­nen in der Öffent­lich­keit statt, wie das Tref­fen der Empör­ten jeden Sonn­tag um 15 Uhr auf dem Alex­an­der­platz. Hier gibt es wöchent­lich ein offe­nes Mikro­fon, an dem jeder sagen kann, was ihn bewegt. „Wie es in der Zukunft weiter geht, hängt stark von der Betei­li­gung der ein­zel­nen Men­schen ab“, meint Isi. Für den 12. Mai 2012 wird welt­weit zu Aktio­nen auf­ge­ru­fen. Isi will an dem Tag auf die Demons­tra­tion in Berlin gehen und danach eine fried­li­che Abschluss­ver­an­stal­tung mit Asam­blea erleben.