Das wilde Leben

Ob Stu­den­ten auch im Schlaf­zim­mer For­scher sind, hängt von IQ und Stu­di­en­gang ab, behaup­ten Studien.

„Stu­den­ten aller Fach­rich­tun­gen werden bei uns gesucht“, liest man die mit­ar­bei­ter­su­chende Anzeige einer 0190er-Hot­line. Doch nährt die Rea­li­tät die Vor­stel­lung der uner­sätt­li­chen Stu­den­ten, oder wird hier nur mit einem Kli­schee gehandelt? 
Ob Stu­den­ten auch im Schlaf­zim­mer For­scher sind, hängt von IQ und Stu­di­en­gang ab, behaup­ten Stu­dien. Foto: studio-54

„Ich will ein­fach vieles aus­pro­bie­ren“, sagt Vero­nika (23) mit einem ver­schmitz­ten Lächeln und weiß wohl nicht ganz, was sie von ihrer eige­nen Aus­sage halten soll. Details verrät sie nicht. In einer Zeit, in der privat gedrehte Pornos den Pro­fes­sio­nel­len der Bran­che Pro­bleme berei­ten und das Sexu­al­ver­hal­ten ins­ge­samt immer libe­ra­ler wird, passen sich auch Stu­dierte und Stu­die­rende der neuen Pro­bier­freu­dig­keit an – scheint es. 

Hoher IQ bringt wenig Sex 
Es gibt jedoch Stu­dien, die mit­un­ter das Gegen­teil behaup­ten. So ver­öf­fent­lichte der ame­ri­ka­ni­sche Pro­fes­sor Tyler Cowen Mitte ver­gan­ge­nen Jahres seinen For­schungs­be­richt, in dem er dar­stellt, dass Men­schen umso weni­ger Sex haben, je intel­li­gen­ter sie sind. Unter ande­rem sollen Men­schen mit einem IQ von 100 bis zu fünf mal mehr Bereit­schaft zu Geschlechts­ver­kehr haben als jemand mit einem IQ von 130. Das gilt im glei­chen Ver­hält­nis zu jenen, die einen IQ unter 70 haben. 
Vero­nika scheint davon nichts zu wissen. Ihr erstes Mal hatte sie mit 16, was in etwa dem deut­schen Durch­schnitt ent­spricht, seit­dem hatte sie mit meh­re­ren unter­schied­li­chen Part­nern Ver­kehr, fühlte sich in ihrem Spiel­trieb aber „nie ganz aus­ge­füllt“. Mit einem iro­ni­schen Unter­ton merkt sie an, dass das viel­leicht mit ihrem Stu­di­en­schwer­punkt der empi­ri­schen Unter­su­chung psy­cho­lo­gi­scher Phä­no­mene zu tun haben könnte. 
Sex ist gesün­der als rich­tige Ernährung 
Immer­hin kann Vero­nika sich darauf ein­stel­len, schnel­ler mit dem Stu­dium fertig zu sein als jemand, der seiner Sexua­li­tät weni­ger Auf­merk­sam­keit schenkt. Der Sozi­al­wis­sen­schaft­ler und Sex­ologe Werner Haber­mehl behaup­tet, dass regel­mä­ßi­ger Sex stu­di­en­fö­dernd wirkt durch die Aus­ge­gli­chen­heit, die er schafft – sogar mehr als bei­spiels­weise gute Ernäh­rung. Dies bedeu­tet aber nicht, dass jemand mit weni­gen sexu­el­len Kon­tak­ten zwangs­läu­fig lange für den Abschluss benötigt. 
Bio­lo­gie­stu­dent Thomas (25) sieht das etwas anders. Er hatte sein erstes Mal ver­hält­nis­mä­ßig spät und legt auch momen­tan wenig Wert auf regel­mä­ßi­gen Kon­takt zum ande­ren Geschlecht. Er habe dafür ein­fach keine Zeit, gesteht er ach­sel­zu­ckend. Ob das nun Ent­schul­di­gung oder Begrün­dung ist, vermag er selbst nicht zu sagen. Sein Stu­dium nehme ihn der­ma­ßen in Anspruch, dass es ihm schwer­falle, neue Kon­takte außer­halb seines Freun­des­krei­ses zu knüp­fen und zu pfle­gen. Die Frage, ob er nicht die „Blü­te­zeit“ seiner Jugend nutzen wolle, ent­lockt ihm ein Lächeln. Das Erfor­schen habe er bereits hinter sich und sei viel­leicht auch des­we­gen genügsam. 
Natur­for­scher brau­chen keinen Sex 
Tyler Cowen würde Thomas ver­mut­lich als teil­weise reprä­sen­ta­tiv bezeich­nen. Stu­die­rende der Natur­wis­sen­schaf­ten hatten in seiner Studie weit­aus sel­te­ner ihr erstes Mal bereits hinter sich und auch ins­ge­samt weni­ger Inter­esse, Sexu­al­part­ner zu finden als Geis­tes­wis­sen­schaft­ler. 83 Pro­zent der Mathe­ma­ti­ke­rin­nen eines US-Eli­te­col­le­ges bei­spiels­weise hatten mit 19 Jahren noch keinen Geschlechts­ver­kehr. Die Jung­frau­en­quote bei Kunst­stu­den­tin­nen einer ande­ren Insti­tu­tion lag hin­ge­gen bei null. Worauf sich diese Unter­schiede zurück­füh­ren lassen, verrät die Studie nicht. Warum können sehr intel­li­gente Men­schen weni­ger Sex haben? 
Auch andere Dinge können inter­es­sant sein 
Das Kli­schee behaup­tet, dass Natur­wis­sen­schaft­ler unat­trak­tiv sind und daher weni­ger Optio­nen haben, doch die Rea­li­tät wider­spricht. Plau­si­bler scheint die Annahme, dass mit der Intel­li­genz das Inter­esse für ver­schie­dene Beschäf­ti­gun­gen steigt und so Sexua­li­tät zwar nicht kom­plett an Bedeu­tung ver­liert, aber in Kon­kur­renz zu ande­ren Dingen steht. 
Dem würde Vero­nika nicht wider­spre­chen. Sie trifft sich lieber mit Freun­den und genießt unter­schied­li­che Akti­vi­tä­ten statt sich auf eine Bezie­hung ein­zu­las­sen. Ihre Frei­heit und die „Expe­ri­mente“ sind ihr zur­zeit mehr wert als das Gefühl der Zunei­gung. Das eine schließt zwar das andere nicht aus, doch: „Wieso soll ich alles mit einem machen, wenn ich vieles mit vielen machen kann?“ Wie viele Böden dieser Satz tat­säch­lich hat, behält sie für sich.