Geil! Eine etymologische Bilanz

Wie geil ist das denn?! Zum ety­mo­lo­gi­schen Ursprung und Gebrauch des popu­lä­ren und umstrit­te­nen Kraftausdrucks.

Die Mutter ver­bie­tet es dem Kind. Wer nicht als abso­lu­ter Außen­sei­ter gelten möchte, benutzt es außer­halb des Eltern­hau­ses nach jedem zwei­ten Wort. Kommt man Anfang bis Mitte 20 in den erlauch­ten Kreis der Intel­lek­tu­el­len, ver­mei­det man es – meist.
Das Wort „geil“ weckt frag­los Asso­zia­tio­nen. Unter Jugend­li­chen drückt es aus, dass etwas toll oder schön ist. Irgend­wann begin­nen Jungen, das Mäd­chen mit den grünen Augen „geil“ zu finden, oder die Mäd­chen stel­len fest, dass der Kerl mit den Hosen in den Knie­keh­len „geil“ ist.

Die Vergeilung nimmt ihren Lauf

Seinen Ursprung hat das Wort im Alt­hoch­deut­schen. Im 8. Jahr­hun­dert bedeu­tete es soviel wie „über­mu­tig, über­heb­lich, erho­ben“, im Mit­tel­hoch­deut­schen auch „üppig, von wilder Kraft“. Bis zum 15. Jahr­hun­dert sprach man davon, dass Pflan­zen und Tiere „geil“ seien, wenn sie frucht­bar und gut gewach­sen sind. Noch heute spricht man in der Pflan­zen­phy­sio­lo­gie von der „Ver­gei­lung“, wenn eine Pflanze wegen Platz­man­gels zu schnell in die Höhe schießt und wegen feh­len­der Son­nen­be­strah­lung nicht grünt.

Die heute zumeist ver­stan­dene „geil“-Bedeutung als „sexu­ell erregt“ oder „begie­rig“ haben schon die Gebrü­der Grimm in ihrem Deut­schen Wör­ter­buch als gern genutzte Vari­ante erkannt.

Geil oder ungeil

Gerade weil ein großer Teil der deut­schen Bevöl­ke­rung das Wort gern und oft benutzt, bleibt die genaue Bedeu­tung oft diffus. Gibt es diese eigent­lich? Mitt­ler­weise gibt es nicht nur „geile“ Dinge, son­dern auch – eine pro­duk­tive Wort­neu­schöp­fung – „ungeile“ Sachen. Die Mathe­ma­tik ist so eine Sache. Sie gilt als lang­wei­lig und öde, spaß­frei und unsexy – eben total ungeil.

Die Mathe­ma­tik führt zu einem inter­es­san­ten Phä­no­men: „geil“ und intel­li­gent schlie­ßen sich gegen­sei­tig aus; „geil“ im sexu­el­len Sinn steht im Wider­spruch zur Intel­li­genz. Die Intel­li­genz­bes­tien in der Schul­zeit hasste man zwar nicht, aber sie flöß­ten Respekt, viel­leicht auch Neid ein. Das machte sie ungeil. Somit müss­ten auch ange­hende Aka­de­mi­ker als ungeil gelten. Hier scheint jedoch das Gegen­teil der Fall zu sein: Den Stu­den­ten von heute wird vieles nach­ge­sagt, vor allem, dass sie mehr feiern als lernen. Laut Kli­schee gehört ein abwechs­lungs­rei­ches Sex­le­ben dazu. Das ver­schafft Stu­den­ten die geilste Zeit ihres Lebens. Gerade in Stu­den­ten­krei­sen haben intel­li­gente und schlaue Men­schen aber auch die reelle Chance, geil gefun­den zu werden. Wissen macht eben doch sexy – man kann es ja elo­quent paraphrasieren.

Einfach „endgeil“

Die gebil­dete Schicht ver­ach­tet „geil“ noch immer. Dieser Teu­fels­kreis – wer oft „geil“ sagt, ist es; wer es ver­mei­det, ist „unsexy“ – wird nicht durch­bro­chen werden können, solange sich BWLer und andere „seriöse Men­schen“ genie­ren zu sagen: „Wenn man die Syn­er­gie­ef­fekte stei­gern könnte, wär’ das für den Betrieb echt geil!“ Es gibt nur einen BWLer, der mit diesem Satz nicht seinen Ruf rui­nie­ren könnte: DSDS-Juror Dieter Bohlen, denn nie­mand findet so viele Men­schen, Dinge und Zustände geil.

Es ist egal, ob man es mag oder nicht, hören wird man das kleine, aber manch­mal so viel­sa­gende Wört­chen auch in den nächs­ten Jahren mit Sicher­heit. Ob der Bereich der Lüs­tern­heit, des Toll­fin­dens oder das üppige Wuchern in pas­sende Worte geklei­det werden sollen – es ist und bleibt geil.

Zäh­ne­knir­schend tole­riert man es zumin­dest, doch umso lauter sind die Flüche, wenn es „geil“ aus dem Mund der eige­nen Kinder ertönt. Oder man ver­mei­det es, und beim Anblick von etwas „beson­ders Schö­nem“ rutscht es einem doch wieder über die Lippen.

Über Christiane Kürschner (89 Artikel)
2004 bis 2010 Studium (Philosophie, Deutsche Philologie, AVL) an der FU, HU und Uni Bern. 2007 bis 2010 Fachjournalistikstudium. PR-Volontariat bis Juni 2011. Seit Juli 2011 freie Autorin und Texterin. Ihre Leidenschaften: Bücher, Fotografie und Essen- und in allem viel Farben. www.frollein-wortstark.de
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