Der Schalter in dir

Die Meta­pher des Men­schen als Maschine wird falsch aus­ge­deu­tet. Es gibt einen freien Willen, nur funk­tio­niert er etwas anders als wir dachten.

Wenn man vom Men­schen als einem Ding, als Maschine spricht, impli­ziert man viele Eigen­schaf­ten in diesen Ver­gleich. Maschi­nen haben keine Gefühle, funk­tio­nie­ren auto­ma­tisch und sind aus­tausch­bar. Nie­mand möchte sich in dieser Beschrei­bung wie­der­fin­den. Jedoch nimmt unsere Lebens­welt immer mehr Züge an, die sich genau an dieser Idee vom Men­schen als funk­tio­nie­ren­dem Appa­rat, der bere­chen­bar ist, orientieren.

Ohne Hirn nix los

Der natur­wis­sen­schaft­li­che Dis­kurs ist ein großes Thema in den Medien. Man ver­traut darauf, was Exper­ten über den Men­schen sagen, man hat Respekt vor den Ergeb­nis­sen der Hirn­for­scher und Neu­ro­wis­sen­schaft­ler. In den ver­gan­ge­nen Jahren ent­brannte immer wieder die Dis­kus­sion, ob der Mensch einen freien Willen hat oder seine Hand­lun­gen vor­be­stimmt sind. Ange­trie­ben wird die Debatte vor allem in den Wis­sen­schaf­ten, die sich mit den Funk­tio­nen des Gehirns auf allen Ebenen auseinandersetzen.

Immer mehr Ergeb­nisse zeigen, dass unser Fühlen, Denken und Han­deln auf Hirn­ak­ti­vi­tä­ten basiert. Schal­tet man bei­spiel­weise bestimmte Hirn­areale aus, ist das ratio­nale Denken ein­ge­schränkt, oder man kann keine sinn­vol­len Sätze mehr bilden. Selbst das Rie­chen von Düften kann man prin­zi­pi­ell ausschalten.

1979 fand die Dis­kus­sion mit den Expe­ri­men­ten des Phy­sio­lo­gen Ben­ja­min Libet einen Höhe­punkt. Seine Pro­ban­den soll­ten eine Uhr stop­pen, wenn sie sich zu einer bestimm­ten Hand­lung ent­schlos­sen haben. Libet beob­ach­tete, wann der Pro­band eine Mus­kel­ak­ti­vi­tät für diese Hand­lung signa­li­sierte – und die Mus­keln reagier­ten, bevor die Pro­ban­den sich ihrer Ent­schei­dung bewusst waren. Er hielt es damit für bewie­sen, dass unsere Hand­lun­gen bereits fest­ste­hen, bevor wir über sie ent­schie­den haben. Seit­dem rollt über die west­li­che Welt die Deter­mi­nis­mus-Welle. Dem­nach ist alles was wir tun vor­be­stimmt, und das was wir Seele nennen, sind nur Gehirn­ak­ti­vi­tä­ten. Ist der Mensch also nur ein Zell­hau­fen mit ein wenig Bewusstsein?

Unfreiheit als Charakteristikum

Eine mediale Rolle in der gegen­wär­ti­gen Debatte nimmt dabei das Buch „Hand­werk der Frei­heit“ von FU-Pro­fes­sor Peter Bieri ein. Grund­an­lie­gen seiner Argu­men­ta­tion ist: Natür­lich sind unsere ganz spe­zi­fi­schen Hand­lun­gen in einem Sinn vor­be­stimmt. Wenn ich die Wahl zwi­schen einem Stück Pizza und einem Apfel habe, dann habe ich die Frei­heit zu wählen. Ich ent­scheide mich für die Pizza und habe nach dem Essen ein schlech­tes Gewis­sen – ich hätte mich für den Apfel ent­schei­den müssen, aber ich konnte nicht anders! In diesem Sinn ist unser Wille nicht frei, denn in der Ent­schei­dungs­si­tua­tion habe ich mich für die Pizza ent­schie­den. Man kann nicht seinen Willen steu­ern. Wenn ich Pizza will, kann ich nicht meinen Willen steu­ern und ihm sagen: Mach, dass ich einen Apfel will!

Eine Person und ihr Wille sind durch ihre Per­sön­lich­keit, ihre Erfah­run­gen und ihre Vor­liebe für Äpfel oder Pizza geprägt. Diese Unfrei­heit des Wil­lens ist rich­tig und macht uns Men­schen aus. Wenn unsere Hand­lun­gen und Gedan­ken nicht dadurch bestimmt wären, wie wir uns selbst ver­ste­hen, wodurch dann? Unser Wille wäre ziel­los und unbestimmt.

Für einen Anhän­ger der Junk-Food-Bewe­gung ist die Wahl der Pizza „ganz typisch“. Die Vor­liebe für Junk Food ist eine Cha­rak­ter­ei­gen­schaft dieses Men­schen. So wie man weiß, dass die beste Freun­din zickig wird, wenn der Mas­cara klumpt, und der Bruder zuerst zum Kühl­schrank geht, wenn er nach Hause kommt, kann man Per­so­nen, die man näher kennt, sehr gut ein­schät­zen und viele Reak­tio­nen voraussehen.

Ein fein gesponnenes Netz

In diesem Licht erscheint die Plage der Unfrei­heit des Wil­lens gar nicht als Übel, son­dern als Grund­be­stim­mung des Men­schen. Jede Person hat Erfah­run­gen gemacht, Bücher gele­sen, Men­schen ken­nen­ge­lernt, die sie prägen und ihre Per­sön­lich­keit aus­ma­chen. Ein Vege­ta­rier ist so sehr in seinem Willen gefan­gen, dass er nie­mals frei­wil­lig ein Tier töten würde. Ein Geis­tes­wis­sen­schaft­ler wird nicht mor­gens mit dem Wunsch auf­wa­chen, Hei­zungs­in­stal­la­teur werden zu wollen.

Aber Vor­sicht! Der Mensch ist keine Maschine. Unsere Per­sön­lich­keit ist ein sehr fein gespon­ne­nes Netz, und unsere Hand­lun­gen sind nicht vor­her­seh­bar. Viel ist in uns ver­bor­gen, nicht alles ist uns sofort bewusst. So kann der Phi­lo­loge doch mor­gens auf­wa­chen, sich bewusst werden, dass er aus vie­ler­lei Grün­den an die Uni­ver­si­tät ging, aber eigent­lich schon immer Hand­wer­ker werden wollte. Er kann sich dann doch noch um ent­schei­den. So frei sind wir.

Über Christiane Kürschner (89 Artikel)
2004 bis 2010 Studium (Philosophie, Deutsche Philologie, AVL) an der FU, HU und Uni Bern. 2007 bis 2010 Fachjournalistikstudium. PR-Volontariat bis Juni 2011. Seit Juli 2011 freie Autorin und Texterin. Ihre Leidenschaften: Bücher, Fotografie und Essen- und in allem viel Farben. www.frollein-wortstark.de
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