Schlingerkurse

In der Poli­tik wird stän­dig ein Wech­sel gefor­dert. Ist er da, wird der nächste Wech­sel ver­langt. Nur die Hoch­schu­len setzen auf Beständigkeit.

Symbolischer Kleidungstausch Zwischen Rot und Grün lässt sich schnell wechseln. Foto: Albrecht Noack
Die Foto­serie schoss Albrecht Noack spe­ziell für dieses Titelthema.

Gewech­selt wird aller­or­ten. Die drei großen Ber­li­ner Unis wech­seln ihre Prä­si­den­ten. HU-Prä­si­dent Mark­schies hat nach einer Amts­zeit beschlos­sen, nicht erneut zu kan­di­die­ren. Doch ent­we­der sind seine Fuß­stap­fen zu groß, oder die HU hat nicht mehr die Strahl­kraft ver­gan­ge­ner Tage, oder es mag in den aktu­el­len Kri­sen­zei­ten nie­mand mehr einer Uni­ver­si­tät als Prä­si­dent vor­ste­hen. Denn die Krise umfasst nicht nur die aller­or­ten bemit­lei­dete Wirt­schaft, son­dern auch die Bildung.

Das hat nach mona­te­lan­gen deutsch­land­wei­ten Pro­tes­ten auch die Poli­tik erkannt. Doch im Koali­ti­ons­ge­r­an­gel zwi­schen CDU und FDP sind keine bal­di­gen Ent­schei­dun­gen zu erwar­ten. Die Kern­pro­bleme einer großen Koali­tion, so stellte der Kaba­ret­tist Volker Pis­pers fest, sind faule Kom­pro­misse: „Die einen sagen, wir brau­chen ein Auto. Die ande­ren sagen, wir brau­chen ein Motor­rad. Und ange­schafft wird – ein Müll­ei­mer.“ In seinem Som­mer­pro­gramm war ihm noch nicht bekannt, welche Kaba­rett­vor­la­gen ihm die selbst­er­klärte Traum­ko­ali­tion nun lie­fern würde.

Mangel statt Zukunft

Wie die Bil­dungs­pro­teste gezeigt haben, sind die Pro­bleme deutsch­land­weit ähn­lich: Die Umset­zung von Bache­lor und Master wird von oben ange­ord­net und als zu bil­dungs­fern bzw. zu wirt­schafts­freund­lich emp­fun­den. In solch einem Klima lassen sich ernst­hafte Wis­sen­schaft­ler nur ungern zu der zwei­fel­haf­ten Ehre über­re­den, eine Hoch­schule zu leiten. Ihre Hand­lungs- und Wir­kungs­mög­lich­kei­ten sind derart beschränkt, dass „Man­gel­ver­wal­tung“ die Arbeit besser beschreibt als „Zukunfts­ge­stal­tung“.

Unter sol­chen Umstän­den sind keine nen­nens­wer­ten Umge­stal­tun­gen und Innovatio­nen zu erwar­ten. Die TU setzt auf bekannte Pfade und beför­dert Jörg Stein­bach vom Vize- zum Uni-Prä­si­den­ten. Kurt Kutz­ler will aus Alters­grün­den die Uni-Geschi­cke nicht länger leiten und über­gibt am 1. April die Amts­ge­schäfte an seinen Nachfolger.

Auch die FU schaut sich nach einem neuen Chef um. Dieter Lenzen folgte bereit­wil­lig dem Ruf nach Ham­burg und über­ließ die FU ihrem Schick­sal. Dieses könnte in den Händen von Peter-André Alt gut auf­ge­ho­ben sein. Der Ger­ma­nist und enge Ver­traute Len­zens gilt als aus­sichts­reichs­ter Kan­di­dat in der anste­hen­den Wahl. Seit zwei Jahren wird er als Len­zens Nach­fol­ger gehan­delt, Wech­sel­hoff­nun­gen sind mit ihm nicht ver­bun­den, viel­mehr wird er die FU auf ihrem Exzel­lenz­kurs weiterführen.

Alles abhängig von Zahlen

Wäh­rend die Hoch­schu­len und ihre Kapi­täne ent­we­der den Kurs halten (FU und TU) oder noch suchen (HU), hat die große Poli­tik ihren angeb­lich gefun­den. Jedoch äußert das Wahl­volk seit der Sep­tem­ber-Wahl in allen „Sonn­tags­fra­gen“ die Mei­nung, dass erneute Kurs­än­de­run­gen ange­bracht sein könn­ten. Im Klei­nen haben viele bereits einen erneu­ten Kurs­wech­sel vollzogen.

Von „Volks­par­teien“ kann bei je knapp über einer halben Mil­lion Mit­glie­dern bei CDU und SPD kaum gespro­chen werden. Eine Genera­tion zuvor besa­ßen beide noch etwa die Hälfte mehr Mit­glie­der. Heute hat die CSU mit 163.000 Mit­glie­dern fast so viele wie Linke, FDP und Grüne zusam­men. Nach einem Kurz­hoch Anfang der 1990er Jahre mit 179.000 Mit­glie­dern brach die FDP bis heute auf 66.000 Mit­glie­der ein. Dafür ist die FDP eine junge Partei – nur etwa ein Drit­tel der Mit­glie­der ist über 60 Jahre alt. Nur bei den Grünen sind noch weni­ger über 60-Jährige.

Damit ist es für die Par­teien vor­teil­haft, dass auch Nicht-Mit­glie­der wählen dürfen, denn sonst sähen die Koali­tio­nen ganz anders aus. Beson­ders wich­tig sind für alle die soge­nann­ten Wech­sel­wäh­ler. Je nach Umfrage wurden bei der Wahl im Sep­tem­ber bis zu einem Drit­tel Wech­sel­wäh­ler regis­triert. Bei einer Wahl gilt das Par­tei­buch plötz­lich weni­ger als die aktu­elle Sym­pa­thie, was beson­ders die SPD zu spüren bekam. Zuge­spitzt spie­geln Wahlen die kurz­fris­tige Zustim­mung zu einem Par­tei­pro­gramm wider, Par­tei­mit­glied­schaf­ten die langfristige.

Hochschulische Politikwechsel

Für viele beginnt die poli­ti­sche Kar­riere bereits in der Hoch­schule. Die all­jähr­li­che Wahl eines Stu­die­ren­den­par­la­ments kann aller­dings oft nur zehn Pro­zent der Stu­die­ren­den mobi­li­sie­ren. Auch zeugen die Pro­gramme vieler Lis­ten von kurz­fris­ti­gem Enga­ge­ment. Manche exis­tie­ren nur, um einen bestimm­ten Miss­stand anzu­pran­gern und zu beheben.

Aber auch die „großen Par­teien“ haben „ihre“ Hoch­schul­lis­ten bzw. manche Listen stehen bestimm­ten Par­teien nahe und erhal­ten von diesen Unter­stüt­zung. Von diesen ist vor allem der uni­ons­nahe „Ring Christ­lich Demo­kra­ti­scher Stu­den­ten“ bekannt und unter Stu­die­ren­den für seine kon­ser­va­ti­ven Ziele berüch­tigt. Wäh­rend der Normal-Stu­dent als eher links­ori­en­tiert gilt, will der RCDS halb­of­fi­zi­ell den „linken Sumpf an der Uni austrocknen“.

Doch nach ihrem über­ra­schen­den Wahl­sieg bei der StuPa-Wahl an der TU war dem RCDS vor drei Jahren nur ein Jahr ver­gönnt. Bei der nächst­mög­li­chen Gele­gen­heit wähl­ten die Stu­die­ren­den den RCDS zwölf Monate später wieder ab. Mit ihrer Poli­tik wurden poten­zi­elle Wech­sel­wäh­ler auf Semes­ter hinaus ver­schreckt. So kehrte auch die stu­den­ti­sche Hoch­schul­po­li­tik wieder auf die bekann­ten Pfade zurück.

Über Robert Andres (33 Artikel)
Computerfreak und enthusiastischer Student. Vollblut-Berliner, der beinahe gern Lehrer geworden wäre.