Jetzt erst recht
Die Zukunft ist das unbekannte Land, wo alles möglich ist. Jede Niederlage kann sich in einen Triumph verwandeln. Manchmal bleibt nur, alles hinter sich zu lassen und trotzig-schnippisch einen Neuanfang zu wagen.
Meine Beziehung ist kaputt, meine Eltern hassen mich, und der Sommer war scheiße. Solche Stimmungen sind einerseits genau richtig, um wichtige Weichen für das weitere Leben zu stellen. Andererseits bergen sie auch immer die Gefahr, sich zu verrennen. In solchen Stimmungen möchte man einfach alles von vorn beginnen: „Alles zurück auf ‚Los‘.“Mit seiner Semestereinteilung bietet ein Studium die besten Gelegenheiten für regelmäßige Neuanfänge. Es ist nur selten ein großes Problem, die Stadt zu wechseln, sein altes Leben hinter sich zu lassen und ein neues zu beginnen. „Jetzt erst recht“ wird man alles anders machen.
Scheitern als Chance
Trotzig steht man nach jeder Niederlage wieder auf, um es erneut zu versuchen. Bis irgendwann die Erkenntnis einsetzt, dass man manche Niederlagen einfach akzeptieren muss und sich auf andere Bereiche konzentieren sollte. Jeder trotzige Neubeginn hat eine Konstante: man selbst. Damit all die Neuanfänge nicht in einer Endlosschleife des Scheiterns münden, ist aktive Vergangenheitsbewältigung notwendig. Wer aus seinen Fehlern nicht lernt, muss sie wiederholen.
In den Medien wird ständig von der Wirtschaftskrise berichtet, während die Unternehmen schon wieder Top-Gewinne melden. Die Nicht-Diskussion über Migrationsprobleme schiebt sich dazwischen. Während man nach gängigem Verständnis Statistiken offenbar nicht danach auswerten darf, ob manche Bevölkerungsgruppen Anzeichen einer misslungenen Integration zeigen, darf man über andere Statistiken gemeinschaftlich jubeln: Die Shell-Studie hat herausgefunden, dass Jugendliche wieder mit Optimismus in die Zukunft schauen.
Trotz-Deutschland
Vermutlich folgen die 14- bis 25-Jährigen einfach ihrem rebellischen Impuls und sagen sich „Lass die Alten jammern. Wir haben alle Chancen – jetzt erst recht!“ Denn Jugend ist die Zeit, in der man unsterblich ist, die Zeit, in der alles möglich scheint – wider jede Vernunft und rationale Erklärung. Genau darin liegt eine ungeheure Kraft. Niederlagen werden zelebriert und besonders intensiv durchlitten. In solchen Phasen kommt dann der Trotz durch, der zu neuen Höchstleistungen anspornt.
Vor solchen Trotzattacken sind selbst Minister nicht gefeit. Im Mai verkündete Bildungsministerin Schavan: „Angesichts der Entwicklungen auf den internationalen Finanzmärkten gilt jetzt erst recht: Wir müssen in Forschung und Entwicklung investieren, um den Wirtschaftsstandort Deutschland zu sichern.“ Auch andere politische Initiativen oder Gedanken bedienen ganz direkt die Trotzhaltung. In Krisenzeiten scheint es schon fast wieder salonfähig zu sein, sich dem allgemeinen Jammern und Aktionismus zu verweigern, und stattdessen trotzig seine Forderungen weiter zu vertreten und auf vormals akzeptierten Werten zu bestehen: Wehrpflicht – jetzt erst recht! Auch scheinbar aussichtslose Forderungen erhalten mit dem Verweis auf die Krise, von der man sich ja trotzigerweise nicht unterkriegen lässt, neuen Rückenwind: Direkte Demokratie – jetzt erst recht!