Jetzt erst recht

Die Zukunft ist das unbe­kannte Land, wo alles mög­lich ist. Jede Nie­der­lage kann sich in einen Tri­umph ver­wan­deln. Manch­mal bleibt nur, alles hinter sich zu lassen und trot­zig-schnip­pisch einen Neu­an­fang zu wagen.

Mit Trotz und Enthusiasmus den Neuanfang wagen. Trotzig der Vergangenheit den Stinkefinger zeigen und in eine neue Zukunft starten. Foto: Albrecht Noack

Meine Bezie­hung ist kaputt, meine Eltern hassen mich, und der Sommer war scheiße. Solche Stim­mun­gen sind einer­seits genau rich­tig, um wich­tige Wei­chen für das wei­tere Leben zu stel­len. Ande­rer­seits bergen sie auch immer die Gefahr, sich zu ver­ren­nen. In sol­chen Stim­mun­gen möchte man ein­fach alles von vorn begin­nen: „Alles zurück auf ‚Los‘.“Mit seiner Semes­ter­ein­tei­lung bietet ein Stu­dium die besten Gele­gen­hei­ten für regel­mä­ßige Neu­an­fänge. Es ist nur selten ein großes Pro­blem, die Stadt zu wech­seln, sein altes Leben hinter sich zu lassen und ein neues zu begin­nen. „Jetzt erst recht“ wird man alles anders machen.

Scheitern als Chance

Trot­zig steht man nach jeder Nie­der­lage wieder auf, um es erneut zu ver­su­chen. Bis irgend­wann die Erkennt­nis ein­setzt, dass man manche Nie­der­la­gen ein­fach akzep­tie­ren muss und sich auf andere Berei­che kon­zen­tie­ren sollte. Jeder trot­zige Neu­be­ginn hat eine Kon­stante: man selbst. Damit all die Neu­an­fänge nicht in einer End­los­schleife des Schei­terns münden, ist aktive Ver­gan­gen­heits­be­wäl­ti­gung not­wen­dig. Wer aus seinen Feh­lern nicht lernt, muss sie wiederholen.

In den Medien wird stän­dig von der Wirt­schafts­krise berich­tet, wäh­rend die Unter­neh­men schon wieder Top-Gewinne melden. Die Nicht-Dis­kus­sion über Migra­ti­ons­pro­bleme schiebt sich dazwi­schen. Wäh­rend man nach gän­gi­gem Ver­ständ­nis Sta­tis­ti­ken offen­bar nicht danach aus­wer­ten darf, ob manche Bevöl­ke­rungs­grup­pen Anzei­chen einer miss­lun­ge­nen Inte­gra­tion zeigen, darf man über andere Sta­tis­ti­ken gemein­schaft­lich jubeln: Die Shell-Studie hat her­aus­ge­fun­den, dass Jugend­li­che wieder mit Opti­mis­mus in die Zukunft schauen.

Trotz-Deutschland

Ver­mut­lich folgen die 14- bis 25-Jäh­ri­gen ein­fach ihrem rebel­li­schen Impuls und sagen sich „Lass die Alten jam­mern. Wir haben alle Chan­cen – jetzt erst recht!“ Denn Jugend ist die Zeit, in der man unsterb­lich ist, die Zeit, in der alles mög­lich scheint – wider jede Ver­nunft und ratio­nale Erklä­rung. Genau darin liegt eine unge­heure Kraft. Nie­der­la­gen werden zele­briert und beson­ders inten­siv durch­lit­ten. In sol­chen Phasen kommt dann der Trotz durch, der zu neuen Höchst­leis­tun­gen anspornt.

Vor sol­chen Trotz­at­ta­cken sind selbst Minis­ter nicht gefeit. Im Mai ver­kün­dete Bil­dungs­mi­nis­te­rin Scha­van: „Ange­sichts der Ent­wick­lun­gen auf den inter­na­tio­na­len Finanz­märk­ten gilt jetzt erst recht: Wir müssen in For­schung und Ent­wick­lung inves­tie­ren, um den Wirt­schafts­stand­ort Deutsch­land zu sichern.“ Auch andere poli­ti­sche Initia­ti­ven oder Gedan­ken bedie­nen ganz direkt die Trotz­hal­tung. In Kri­sen­zei­ten scheint es schon fast wieder salon­fä­hig zu sein, sich dem all­ge­mei­nen Jam­mern und Aktio­nis­mus zu ver­wei­gern, und statt­des­sen trot­zig seine For­de­run­gen weiter zu ver­tre­ten und auf vor­mals akzep­tier­ten Werten zu bestehen: Wehr­pflicht – jetzt erst recht! Auch schein­bar aus­sichts­lose For­de­run­gen erhal­ten mit dem Ver­weis auf die Krise, von der man sich ja trot­zi­ger­weise nicht unter­krie­gen lässt, neuen Rücken­wind: Direkte Demo­kra­tie – jetzt erst recht!

Über Robert Andres (33 Artikel)
Computerfreak und enthusiastischer Student. Vollblut-Berliner, der beinahe gern Lehrer geworden wäre.