Wunschdenken und Realität

[Bezie­hun­gen] Das Herz schlägt schnel­ler, die Hände sind feucht, der Bauch krib­belt – ver­mut­lich hat man gerade seinen Part­ner gefun­den. Roman­ti­sche Erwar­tun­gen können sich anbah­nende Bezie­hun­gen aller­dings boykottieren.

Frauen wün­schen sich in Bezie­hun­gen unbe­dingte Treue, Männer zügel­lo­sen Sex und Frei­raum. Die Kli­schee­liste ist ebenso lang wie unrea­lis­tisch. Frauen wollen Sicher­heit und eine starke Schul­ter, Männer, dass sie zu ihnen auf­se­hen. Der Blick der Männer fällt natür­lich zuerst auf sekun­däre Geschlechts­merk­male, wäh­rend Frauen ihr Augen­merk auf Details wie Hände und Schuhe richten.

Pseudo-sta­tis­ti­sche Erhe­bun­gen erzeu­gen den Ein­druck, unsere Wün­sche von und an Part­ner­schaf­ten seien stan­dar­di­siert und geschlech­ter­spe­zi­fisch. Dabei wäre es doch viel span­nen­der zu erfah­ren, welche Wün­sche der Ein­zelne, der sich unmit­tel­bar in meiner Umge­bung befin­det, an Bezie­hun­gen stellt. Zum Bei­spiel der Unbe­kannte neben mir in der Tram oder im Hörsaal.

Rea­lis­ti­sche Erwar­tun­gen statt Wunschdenken

Flo­rian ist 23, stu­diert Lite­ra­tur und ist Sing­le. Seiner Erfah­rung nach hat Wunsch­den­ken wenig mit einer realen Bezie­hung zu tun, zu hohe Erwar­tun­gen führen sogar oft zum Bruch der Part­ner­schaft. Für ihn ist eine Bezie­hung wich­tig, in der er lernen kann, die ihn berei­chert. Auch er wünscht sich den in Stu­dien viel­zi­tier­ten Frei­raum, der schnell an Allein­gänge im Nacht­le­ben denken lässt, defi­niert ihn für sich aber anders: Er will trotz Bezie­hung seine per­sön­li­che Ent­wick­lung nicht zurück­stel­len müssen.

Ähn­lich sieht es die 19-jäh­rige Anna, sie erwar­tet von ihrem Part­ner Unter­stüt­zung bei ihren Lebens­plä­nen und Moti­va­tion, beson­ders im Stu­dium. Ganz frei von stan­dar­di­sier­ten Bezie­hungs­wün­schen ist sie aller­dings nicht, als Kri­te­rien bei der Part­ner­wahl nennt sie auch Ver­trauen, Humor und ein „nicht unsport­li­ches Äuße­res”. Ganz kon­krete Erwar­tungs­hal­tun­gen beru­hen hin­ge­gen wieder auf sehr per­sön­li­chen Erfah­run­gen. Nach dem Schei­tern von ein­sei­ti­gen Bin­dun­gen, die jeg­li­ches Mit­ein­an­der ver­mis­sen ließen, ent­wi­ckelte sich ihr Wunsch nach Kom­mu­ni­ka­tion inner­halb einer Partnerschaft.

Dyna­mik in der Bezie­hung, Ideale an das Mit­ein­an­der und eine gemein­same Basis

Die For­mu­lie­rung von Bezie­hungs­wün­schen ist also dyna­misch und abhän­gig von unse­ren indi­vi­du­el­len Erfah­run­gen, wobei das Alter eine grö­ßere Rolle zu spie­len scheint als das Geschlecht. Wün­schen als Lern­pro­zess? Was Anna nur erahnt, wird von dem Mitt­fünf­zi­ger Thomas bestä­tigt: Nicht nur, dass Men­schen in der Jugend andere Ideale in einer Bezie­hung anstre­ben als Ältere, die Wunsch­liste letz­te­rer scheint im Laufe einer lang­jäh­ri­gen Ehe kom­plett der Rea­li­tät zu wei­chen, die sich ganz und gar nicht in der Rea­li­sie­rung einst genann­ter Wün­sche äußert. Anstatt die Bezie­hung zu been­den („Dann müsste man sich ja alle zwei Jahre schei­den lassen”) rät Thomas zu einem Umden­ken beider Partner.

Wenn die Kinder erst mal aus dem Haus seien, fehle vielen Ehe­paa­ren eine gemein­same Basis, wes­we­gen Wün­sche an die Bezie­hung neu defi­niert werden müss­ten. Deren Rea­li­sie­rung ist dann im Ide­al­fall ein Wech­sel­spiel von Durch­set­zung und Zurück­nahme: „Wich­tig ist, dass man über­haupt noch etwas gemein­sam unter­nimmt. Ich gehe zum Bei­spiel zusam­men mit meiner Frau ins Thea­ter, obwohl ich kein Kunst­fan bin. Wenn ich dann zwi­schen­durch drau­ßen eine Ziga­rette rau­chen kann, sind beide Part­ner zufrie­den.” Die wohl größte Bedin­gung für eine sta­bile, lang­jäh­rige Basis von Bezie­hun­gen: sich vom indi­vi­du­el­len Wunsch­den­ken ver­ab­schie­den, Kom­pro­misse schaffen.

Willst du mit mir gehen? Kreuze an: Ja — Nein — Vielleicht

Denkt man an Maxi aus der zwei­ten Klasse, mit Zahn­lü­cke und Rau­pen­zucht, freut man sich viel­leicht, dass nicht jeder in Form von Willst-Du-Mit-Mir-Gehen-Zet­teln ver­ewigte Her­zens­wunsch in Erfül­lung ging, und wir nicht die von den Stu­dien sti­li­sier­ten ein­di­men­sio­na­len Indi­vi­duen sind, die iden­ti­sche Part­ner­schaf­ten führen. Gerade die uner­füll­ten Wün­sche sind ja oft das Salz in der Beziehungssuppe.