Sprich mich an, aber leise!

Die Biblio­thek könnte der ideale Flirt-Ort sein. In der Praxis wollen aber doch tat­säch­lich einige der Besu­cher lernen …

Unibibliotheken sind der ideale Ort für einen Flirt Paar trifft sich vor dem Grimm-Zentrum, Unibibliothek der HU, Foto Albrecht Noack

„Das Para­dies für Stu­die­rende ist die Biblio­thek” – so beant­wor­tet Tim die Frage, wo er die meis­ten inter­es­san­ten und attrak­ti­ven Stu­den­ten trifft. Laut den Bezie­hungs­so­zio­lo­gen hat er voll­kom­men recht. In der For­schung heißt es, dass die Chance, einen geeig­ne­ten Part­ner zu finden, im glei­chen sozia­len Umfeld erheb­lich größer ist. Das hören wir gern, jetzt, mitten im Früh­ling. Und vor allem in Anbe­tracht der Tat­sa­che, dass es Orte gibt, an denen das Auf­kom­men von inter­es­san­ten und poten­zi­ell als Part­ner geeig­ne­ten Indi­vi­duen beson­ders hoch ist.
Aber wollen Stu­den­ten über­haupt in der Biblio­thek ange­spro­chen werden?

Bitte nicht stören

Die Biblio­thek. Ein Ort der Ruhe und der intel­lek­tu­el­len Ergöt­zung. Die Köpfe rau­chen, die Luft ist fad und schwei­ßig. Die Kli­ma­an­lage ver­spricht viel, leis­tet aber zu wenig. Jeder ver­sucht, sich zu kon­zen­trie­ren. Auf das Kla­ckern von Absät­zen der per­fekt gestyl­ten Biblio­theks-Ler­ne­rin­nen folgen genervte Blicke. Das ist der Alltag von dut­zen­den Ber­li­ner Stu­den­ten. Viele nutzen die Biblio­thek, weil es der ein­zige Ort ist, an dem die Arbeits­pha­sen nicht von Mit­be­woh­nern, einem Wäsche­berg oder den Staub­par­ti­keln im eige­nen Zimmer unter­bro­chen werden. Jeden Tag besu­chen Tau­sende Stu­die­rende das Grimm-Zen­trum, die Biblio­the­ken der FU und TU, die Staats­bi­blio­thek. Neben den mehr oder weni­ger guten Lern­be­din­gun­gen gibt es einen netten Neben­effekt: Das hohe Auf­kom­men von „gut aus­se­hen­den, intel­li­gent wir­ken­den Män­nern” und Frauen, erzählt Anne, Dau­er­gast in der Biblio­thek, mit einem zögern­den Lächeln.

Doch wie ein­fach ist es, jeman­den in dieser Kon­stel­la­tion wirk­lich ken­nen­zu­ler­nen? Aus sozio­logischer Sicht passen alle Kom­po­nen­ten: Ein hohes Auf­kom­men an sozial und intel­lek­tu­ell ähn­li­chen Indi­vi­duen, die sich – meist allein – meh­rere Stun­den an einem Ort auf­hal­ten. Das Auf­fäl­ligste dabei: Alle sind per­fekt gestylt und über­legt geklei­det. Vor allem ambi­tio­nierte Frauen haben manche Erfolgs- und Lei­dens­ge­schichte zu erzählen.

Pausen nutzen

Die beste Mög­lich­keit, jeman­den ken­nen­zu­ler­nen, ist eine Pause in der Cafe­te­ria, erzählt Mela­nie. Manch­mal „setze ich mich ein­fach zu jeman­dem dazu, den ich ganz süß finde, und viel­leicht kommt man ins Gespräch”. Einmal wurde sie sogar von einem muti­gen, jungen Mann auf einen Kaffee ein­ge­la­den, „wir tref­fen uns jetzt öfters”, meint die Medizinstudentin.

Tim nutzt die Rau­cher­pause. „Eine per­fekte Gele­gen­heit, um mit Leuten in Kon­takt zu kommen. Meist bin ich allein lernen und freue mich über ein wenig Gesell­schaft, wenn ich Pause mache.”

Anne hat fest­ge­stellt, dass es ver­schie­dene Typen von Biblio­theks­ler­nern gibt. Die „Pas­si­ven Dau­er­ler­ner” laufen die ganze Zeit mit gesenk­tem Blick durch die Reihen, suchen Bücher, setzen sich wieder hin, lernen weiter und lassen sich von nichts aus der Ruhe brin­gen. Von denen wird man nicht ange­spro­chen. Dann gibt es die Kate­go­rie „Kopf­hö­rer-Lerner” – man weiß eigent­lich nie, ob sie lernen oder irgend­et­was ande­res machen, auf jeden Fall laufen sie blind durch die Gegend. Wenn sie die Kopf­hö­rer abneh­men, sind sie aber auf Rede­mo­dus geschal­tet, dann kann man sie anspre­chen. Häufig seien die „Träu­mer” – diese Lern­ty­pen schauen in der Gegend herum, denken oder beob­ach­ten ein­fach alle ande­ren im Raum. Was beson­ders im Lese­saal amü­sant sein kann. Hier tref­fen sich schnell mal die Blicke. Die schlimmste Kate­go­rie seien aber die „Prä­sen­tie­rer”. Diese Art von Lerner machen alles, bewusst oder unbe­wusst, um die Auf­merk­sam­keit ande­rer Leute zu erzwin­gen. Sie sind meist super gestylt oder außer­ge­wöhn­lich geklei­det, machen oft laute Geräu­sche, tragen unglaub­lich viele Sachen mit sich herum und plau­dern jede halbe Stunde mit jemand ande­rem in irgend­ei­ner Biblio­theksecke. Dieser Lern­typ ist auf der Suche nach Kommunikation.

Chris­tian berich­tet, dass beson­ders männ­li­che Jura­stu­den­ten sehr ambi­tio­niert seien, die Biblio­thek zu besu­chen, da es dort „so viele gut aus­se­hende Geis­tes­wis­sen­schaft­le­rin­nen” gebe.

Hauptsache lernen

Direkt auf Ken­nen­ler­nen aus­ge­rich­tet ist aber kaum ein Biblio­theks­ler­ner. „Es ist ein netter Neben­ef­fekt”, erklä­ren Tim und Anne.

An einer Ecke in der vier­ten Etage des Grimm-Zen­trums klebt an einer Säule fol­gende Such­an­zeige. „Du sitzt jeden Tag in der vier­ten Etage und schreibst eine Haus­ar­beit, wahr­schein­lich stu­dierst du Kunst­wis­sen­schaf­ten– seit Tagen haben wir Blick­kon­takt. Bitte melde dich.” In einer Biblio­thek hat Schrift eben noch mehr Anwen­dungs­mög­lich­kei­ten als nur die Wissensvermittlung.

Über Janine Noack (20 Artikel)
Janine studierte von 2009-2012 Geschichte, Politk und Soziologie an der HU Berlin und absolviert derzeit ihren Master in Modern European History an der Universität Cambridge.