Kürschners Kaffeeklatsch 24.- 30.1.
Brauchen Kids ein iPad als All inclusive-Schulbuch? Und was hat ein bebrillter Pinguin mit dem WWW-Weltmeer zu tun?
Das Internet ist Segen und Fluch zugleich. Die Frage ist dabei aber nur, wie man es nutzt.
Das Fußballstadion in der 2er-WG
Das Institut für Musik und Musikwissenschaft der Stiftung Universität Hildesheim ist seit einigen Tagen im Internet mit einem Musikarchiv vertreten. Dort kann man ca. 100 CD-Produktionen von Lehrenden, Studierenden und Absolventen der Universität, Radiosendungen und weitere Klangprojekte abrufen. Ganz besonders interessant: Auch das Geräuscharchiv ist in Auszügen online. Vom Heckscheibenwischer eines Ford Fiesta, Arbeits- und Maschinengeräuschen des Weltkulturerbes Fagus-Werk bis zu grölenden Fußballfans nach einem WM-Qualifikationsspiel am Hindenburgplatz sind Klänge und Geräusche aus Hildesheim und der Region vertreten. Ist vielleicht für die nächste Party nutzbar oder wenn man mal den Nachbar ärgern will.
- Finden wir schlecht: Die TU Berlin hat eine nicht-repräsentative Studie herausgebracht, die zeigt, dass so gut wie jeder Jugendliche schon einmal selbst von Cyber-Mobbing betroffen waren oder es bei Freunden beobachten konnte, also ein Bystander war. Dabei fühlten sich alle dem Mobbing gegenüber hilfslos.
- Finden wir gut: Unser guter Freunde Apple hat eine Anwendung zu seinem Bildungsangebot “iTunes U” im App Store eingestellt. Dort bekommen die privilegierten iPhone- und iPad-Besitzern mit iOS 5 Zugriff auf das kostenlose Material etlicher Universitäten – unter anderem auch der HU Berlin.
Den Apfel im Ranzen
Freund Apple hat in der vergangenen Woche auch noch etwas anderes angekündigt, was zu diskutieren wäre: Das Apfel-Imperium will Schülern, Studenten und Lehrern Schulbücher auf dem iPad zur Verfügung stellen und das gute Schulbuch überflüssig machen. Die Leser können Textpassagen farblich markieren und Notizen auf die Seiten heften. Begriffe und deren Bedeutung können Schüler in eine Karteikarte verwandeln, wie man sie vom Vokabelpauken kennt: Auf der Vorderseite steht der Begriff, auf der Rückseite dessen Bedeutung, die man erlernen möchte.
Dazu möchte ich gern Eure Meinung erfahren, denn es ist doch ein zweischneidiges Schwert. Schön ist, dass dann die ABC-Schützen nicht mehr bereits in der 2. Klasse einen krummen Rücken haben. Aber sie werden sich auch nie an den Geruch ihrer ersten Lesefibel erinnern können. Und Liebesbriefe können dann auch nicht mehr im Mathebuch transportiert werden. Und davon abgesehen ist es doch ein bisschen unheimlich, wenn alle Kids mit iPads durch die Gegend rennen, oder?
Der Pinguin und die Pop-Ups
Eine Einführung in die Welt des Internets sollten die Zahnfee-Enthusiasten natürlich trotzdem bekommen. Das können sie hier mit Kapitän Eddie machen, einem bebrillten Pinguin, wenn ich mich nicht täusche. Ihm steht ein Nasenbär, ein Hase namens Jumpy und etwas anderem, was vielleicht ein Eichhörnchen sein könnte, zur Seite. Hier lernen die Hasenzähne alles über das WWW-Weltmeer. Sehr schön erklärt wird hier der Begriff Pop-up: Popcorn und Pop-up sind unterschiedliche Dinge, aber sie besitzen die gleiche Eigenschaft: beide gehen auf! Wunderbar, ich bin ohne Worte.
Spieglein, Spieglein …
Die großen Kinder finden hier Aufklärung über Phänomene, die uns als Kinder die Nackenhaare zum Aufstellen brachten und hier nun von den Naturwissenschaften erklärt werden. Ziemlich beliebt war es zum Beispiel, einige Zeit in einen Spiegel zu schauen und darauf zu warten, dass sich das eigene Gesicht verändert oder man einen Fremden sieht. Das kann Kids von heute mit einem iPad im Ranzen wahrscheinlich nicht mehr schockieren, wir waren aber ziemlich fertig mit den Nerven, wenn es funktioniert hat. Die Wissenschaft hat das Rätsel bereits gelöst. Manchmal ist es aber auch schön, wenn ein Geheimnis ein Geheimnis und ein Lesefibel aus Papier bleibt. In diesem Sinne, bis zum nächsten Mal.
Ich hoffe doch, dass sich eine gesunde Ko-Existenz zwischen Büchern und iPad ergibt. Bücher für Basis-Kompetenzen wie Lesen oder Grundrechenarten sind in der Papierversion sicherlich besser als so ein virtuelles Gedöns. Das setzt voraus, dass die Lehrer die Schüler für solche Tätigkeiten wie Lesen und Rechnen begeistern können. Wissensvermittlung (im Gegensatz zur Fähigkeitsvermittlung) wie in den Naturwissenschaften kann m.E. mit solchen virtuellen Schulbüchern allerdings eine qualitative Steigerung erfahren. Besonders gefallen mir da die Möglichkeit zur steten Aktualisierung und Illustrierung (z.B. mit umfangreichen Bildergalerien), die integrierten Tests und Notizfunktion.
Letztlich entscheiden aber nicht die Arbeitsmittel allein, sondern vor allem die Vermittlung in der Schule. Und die ist nun mal von einer Lehrpersönlichkeit abhängig. Deren Motivation, Umgang mit Lehrmaterialien, Verhalten gegenüber Schülern und Persönlichkeit sind wichtige Faktoren. So toll jedwede Initiative für moderne Lernmöglichkeiten auch ist – die Lehrer sind es letztlich, die den Erfolg und Misserfolg bewirken. Die neuen Möglichkeiten machen es ihnen nicht leichter, da sie mit diesen souverän umgehen können müssen (eigener Lernaufwand). Auch gibt es tatsächlich zahlreiche überforderte Lehrpersonen, die lieber den althergebrachten Frontalunterricht mit den althergebrachten Mitteln fortsetzen möchten. Den Missständen im Bildungssystem (zu denen noch viele andere Aspekte gehören) wird man mit den neuen Lehrmaterialien nicht beikommen können.
Das finanzielle Argument finde ich auch bedenkenswert. Jedes virtuelle Lehrbuch kostet bis zu 15 Euro. Das sind für ein Schuljahr mit fünf Lehrbüchern (Mathe, Physik, Bio, Geo, Geschichte, ) 75 Euro. Kopierkosten für die beliebten Handouts entfallen, ebenso können Klassiker in Deutsch kostenlos heruntergeladen werden. Lehrer können kostengünstig eine Vielzahl weiterer Materialien zur Verfügung stellen. Das sind also rund 100 Euro an Daten pro Schuljahr plus ein iPad (500 Euro). Rechnet man ein iPad für zwei Schuljahre, summiert sich das auf 700 Euro. Allein für die fünf erwähnten Bücher habe ich damals je 40 bis 60 Mark gezahlt, das können wir also heute auf 40 Euro runden; ergibt 200 Euro pro Schuljahr, in zwei Jahren 400 Euro. Dazu kommen noch die Kopierkosten (an unserer Schule waren das damals fünf bis zehn Mark pro Schulmonat) sowie gemeinfreie Werke, die man bislang allerdings auf Papier kaufen muss (etwa acht Reclam-Bändchen pro Schuljahr sind auch mehr als 50 Euro). Alles in allem ist es mindestens ein Nullsummenspiel.
Die größere Flexibilität des virtuellen Bücher sowie ihre günstigeren Anschaffungspreise (wenn das Betrachtungsgerät einmal angeschafft ist) sehe ich als wichtigste Faktoren. Denn dadurch wird auch der Unterricht flexibler und kann individueller auf die jeweiligen Bedürfnisse der Schüler eingehen.
Achja, das Monopol der Schulbuchverlage würde auch endlich gebrochen. Denn Lehrbücher sind mit vertretbarem Aufwand auch von kleinen Verlagen zu erstellen, nur fehlte diesen oft der finanzielle Rückhalt für die Vorleistung des Drucks. Das bringt endlich wieder etwas Abwechslung in den Schulalltag, und die Schulen können sich besser in ihren Profilen voneinander abgrenzen. Das erhöht den Wettbewerb auf dem Schulbuchmarkt, was letztlich auch der Qualität nutzen dürfte. Schulbücher könnten so auch besser an den tatsächlichen Schulunterricht und das angestrebte Niveau angepasst werden (wir mussten regelmäßig Zusatztexte heranziehen oder Kapitel in unseren Schulbüchern überschlagen, weil sie nicht wirklich zum Lehrplan passten).
Übrigens habe ich vor einer Weile irgendwo gelesen, dass die Türkei Millionen iPads für den Schulbetrieb im ganzen Land anschaffen möchte.