Luxuriöses Studium
Der Morgen dämmert, Vögel beginnen zu zwitschern, es ist 6:45 Uhr und der Wecker
zerstört die ansehnlichsten Träume. Doch wofür? Um sich in der Frühe mit 300 Mitstudenten
in Sitze zu zwängen, die unter dem Niveau der „Economy Class“ liegen?
Oder um 90 Minuten am Stück der monotonen Stimme eines angeblich unterbezahlten
Professors zu lauschen, mit der ständigen Gefahr, sich eine Platzwunde zuzuziehen,
sobald der müde Kopf auf den harten Klapptisch fällt?
Wohl eher nicht und deswegen
gibt es nur eine Lösung: den Faustschlag auf den Wecker. Wenn es einen Luxus als Student
gibt, dann ist es eigenes Zeitmanagement. Man steht auf, wann man will, geht
nach Hause, wann man will, und eigentlich interessiert es keinen …
… solche Morgen sind sicherlich jedem bekannt, doch leider passiert es dem heutigen Studenten
immer öfter, dass er das Ticket nicht einfach so gegen die Erste Klasse tauschen kann.
Das Reiseziel dieser Kommilitonensorte heißt dann meist Bachelor: der Herr Dr. Dr. Pilot ist im
Besitz einer Passagierliste und droht mit Absturz, falls man auf dieser zweimal unentschuldigt
fehlt. Die Stewardessen servieren nichts. So dass man sich Brezeln, Blöcke und viel zu überteuerte
Bücher, von denen die Captains behaupten, ihr eigenes Werk wäre das beste, selbst ergattern
muss. Und wehe, man fragt die Copiloten außerhalb ihrer Sprechstunden, ob man abseits
des Reiseziels einen Extraschein machen könnte. Oft kommt es auch vor, dass Luftschiff er ausfallen
und man den Flieger allein landen muss, wobei das Sammeln der Luftmeilen sich hier
eher als Ansammlung von Semesterwochenstunden entpuppt. Man ist also Pilot, Stewardess
und Passagier zugleich, so dass der einzig gebliebene Luxus der Griff zur Kotztüte ist …
… welche sich wiederum für die „anderen Studis“ zum neuen Markenzeichen für
durchgemachte Partynächte und zu viele „Wodka-Red-Bull“ etabliert hat. Irgendwie
muss man sich schließlich bei rund 15 SWS in drei Tagen die Zeit vertreiben. Irgendwer
sollte ja auch die Räumlichkeiten sämtlicher Uni‑, Fakultäts- oder Erasmuspartys füllen!
Insofern ist das obligatorische Nebenfach Party unmittelbar in unseren Stundenplan
integriert und wir beugen uns der Pfl icht. Man kann natürlich auch arbeiten gehen.
Wie gesagt, man kann, aber man kann’s auch lassen. Es gibt immerhin genug anderes
zu tun. Irgendwie. Irgendwo. Irgendwann …
… von 15 SWS kann unsereins nur in der vorlesungsfreien Zeit sprechen, denn da beschäftigt
man sich „nur“ mit den drei bis fünf Hausarbeiten, die man in den so genannten Ferien schreiben
soll. Natürlich hätte man dafür auch während der Vorlesungszeit Raum und Zeit finden
können, doch macht sich das schlecht, wenn man bedenkt, dass man nebenbei noch für die
vier bis acht Klausuren lernen muss. „Sieh das ganze doch locker“, mag man dann hören, „dann
studierste eben ein paar Semester länger.“ Doch der thronende Langzeitstudent wurde längst
gestürzt: Die Masterplätze sind begrenzt, die nachfolgenden Generationen schlafen nicht, und
wenn man nicht aufpasst und hinterhängt, hat es sich ganz schnell ausgebachelort …
… also mal ehrlich, aber in fünf bis sechs Monaten, die wir Studenten im Jahr Ferien
haben, kann man durchaus auch mal Hausarbeiten schreiben oder sich durch ein Praktikum
quälen. Andere Leute haben nur eine handvoll Wochen im Jahr frei und die schlagen
die Hände über dem Kopf zusammen, wenn man ihnen erzählt, wie das bei uns
aussieht. Dass man drei Monate Semesterferien nicht auf dem Ponyhof verbringen kann,
müsste durchaus jedem bewusst sein. Das Schlagwort heißt effektive Organisation, dann
klappt’s auch noch mit einer abenteuerlichen Rucksacktour durch Südamerika.
Die Quintessenz lautet folglich: Luxus liegt im Auge des Betrachters. Auf der einen Seite haben wir
unter Studenten also den Luxus des Nichtstuns und auf der anderen den des Strebens. Eines ist jedoch
gewiss: Geht man von der rein fi nanziellen Seite aus, wird Studieren dank Studiengebühren bald sicher
Luxus werden. Also etwas weniger trödeln, aufstehen, anziehen und losstudieren … auch wenn der
Kopf dabei manchmal auf den Klapptisch fällt.
Sandra Gerstädt, Alexandra Zykunov