Luxus ist, was du draus machst
Lehrjahre sind bekanntlich keine Herrenjahre.
Man muss lernen, mit dem wenigen, was man
hat, hauszuhalten und mit dem nötigsten auskommen.
Nun werden gerade unter Studenten
unterschiedliche Prioritäten gesetzt in der Hierarchie,
was nötig ist und was Nötigung gleichkommt.
Besonders die beiden knappen Güter
Zeit und Geld werden mit besonderer Sorgfalt
und unter Abwägung des Gegennutzens eingesetzt.
Gerade mit der Ernährung ist das so eine Sache.
Kochen? Nur wenn es nötig ist, lieber Su shi
in der Bergmannstraße genießen, das war mal
wieder nötig. Den Luxus, gesund zu essen, gönnen
sich nur wenige Studenten. Dazu gibt es
unterschiedliche Begründungen: „Ich lebe allein,
wenn ich einmal koche, muss ich davon
drei Tage lang essen.“ Oder „Die Hälfte der Sachen,
die ich frisch vom Markt kaufe, schmeiße
ich weg.“ Oder „Ich habe keine Zeit zum Kochen,
mein China-Imbiss um die Ecke hat 24 Stunden
geöff net.“ In Zeiten von myspace, msn-messenger
und youtube davon zu reden, dass man Kochen
als Zeitverschwendung ansieht, ist schon
fast komisch.
Vielleicht steckt die Marketingindustrie hinter
allem, die uns vormacht, gesundes Essen ließe sich in fünf Minuten auf den Tisch und in
den Mund bringen. „Convenience“-Food als Luxus
für den gestressten Studenten. Die Zeiten
von Brot und Wasser scheinen in studentischen
Haushalten vorbei. Immer mehr Hochschulgänger
springen auf der Suche nach der ausgewogenen
Ernährung auf die alles wegschwemmende
Bio-Welle auf. Mit dem Einzug von
ökologisch einwandfreiem Genuss in die Regale
des heimischen Discounters vollzieht sich
die vorher kaum vorstellbare Einigkeit von billig
und Luxus. Studenten leben nach dem Überraschungs-
Ei-Prinzip, warum nur das eine, wenn
ich das andere auch noch haben kann.
Doch nicht nur in der Ernährung lässt sich
die Tendenz zum Wunsch nach gemäßigtem
alltäglichen Luxus aufspüren. Väter und Großväter
erzählen immer gern, wie sie früher mit einer
handvoll Freunden und geschickt gepacktem
Rucksack in den Semesterferien die Saale entlang
geradelt sind. Heute würden alle nur noch
auf festgezurrten Rädern allein in der Muckibude
trampeln. Vielleicht haben die jungen Leute
von heute aber auch den Luxus, fit zu sein, neu
defi niert. Nicht einmal im Jahr für drei Wochen,
sondern zweimal die Woche für drei Stunden.
Fitness als Ausdruck gelebten luxuriösen Körperbewusstseins.
Im Umkehrschluss gefragt:
Wer kann sich heute noch den Luxus leisten,
nicht fi t zu sein? Mit Studentenrabatten im Fitnesscenter
und bei Aktiv-Reisen wird gefeilscht,
um alles zu haben, ganz nach dem Motto: Billig
will ich, aber deswegen ist Geiz noch lange
nicht geil. Radgefahren wird eh schon jeden Tag
zur Uni und zurück.
Vielleicht ist es auch an der Zeit, Ernährung,
Fitness und Luxus als Einheit zu betrachten, welche,
wo immer möglich, zelebriert wird. Der Joghurtdrink
schmeckt, macht nicht dick und gibt
mir einfach das Gefühl, das Richtige zu tun. Er
kostet zwar 30 Cent mehr als andere Joghurts,
aber das bin ich mir auch wert.
Wo hört Standard auf und geht Luxus los?
Eine warme Mahlzeit pro Tag, das monatliche
50-Euro-Fitnessstudio-Abo, zweimal pro Woche
im Restaurant essen, Schwimmen im Mittelmeer
in den einen, Skitrip in den Alpen in den
anderen Semesterferien? Der Grat zwischen
Dekadenz und Normalmaß ist in der Tat recht
schmal und liegt wohl – wie zumeist – im Auge
des Betrachters. Das ist eine passende Antwort,
wenn die Eltern wieder mal nachhaken, warum
man erneut für 15 Euro beim Italiener mit Freunden
essen war.