Mensch – Maschine

Wie eine Stu­den­ten­ma­schine sollen die Hoch­schu­len all­jähr­lich hoch­qua­li­fi­zierte Arbeits­droh­nen pro­du­zie­ren. Die freie Intel­lekt­ent­fal­tung und krea­tive Bil­dungs­an­sätze blei­ben dabei auf der Strecke.

Foto-Montage: Studenten in Serienherstellung Wie Serienmodelle sollen die Hochschulen hochleistungsfähige Studenten-Produkte ausspucken. Foto: Albrecht Noack

Stolz wurde der Rekord ver­mel­det: Im Vor­jahr stieg die Zahl der Stu­di­en­an­fän­ger deutsch­land­weit auf 396.800. Ins­ge­samt stu­die­ren mehr als zwei Mil­lio­nen Men­schen in Deutsch­land. Mit der glei­chen markt­wirt­schaft­li­chen Kühle und kal­ku­lier­ten Zah­len­be­geis­te­rung berich­ten Auto­her­stel­ler von Absatz­re­kor­den oder Apple von seinen iPod-Ver­käu­fen. Böse Zungen degra­die­ren die Hoch­schu­len zu Bil­dungs­fa­bri­ken mit Kon­fek­ti­ons­ware. Natür­lich zielen diese bösen Zungen mit sol­cher Schelte auf Bache­lor und Master in ihrer jet­zi­gen Form.

Denn der moderne Stu­dent ist am Ende nichts ande­res als ein iPod: Schick anzu­schauen, er kann auch alles, was ver­spro­chen wurde – aber mehr auch nicht. Ein edles Stück Zeit­geist, Lebens­kul­tur, bald von der nächs­ten iPod-Genera­tion über­holt. Die künf­ti­gen Hoch­schul­ab­sol­ven­ten wissen um ihre iPod-Zukunft und strö­men in die Fach­hoch­schu­len, wegen des Pra­xis­be­zugs. Sie wollen später nicht mit einer Viel­zahl an mög­li­chen Funk­tio­nen ledig­lich in den Ver­kaufs­re­ga­len des Arbeits­mark­tes liegen, son­dern lieber mit einer über­schau­ba­ren Palette an tat­säch­li­chen Fähig­kei­ten in der Praxis ver­wen­det werden.

Bachelor ist in?

Wie das Sta­tis­ti­sche Bun­des­amt weiß, begin­nen zwei von drei Stu­die­ren­den ein iPod-Stu­dium. Nur jeder Dritte wählt einen klas­si­schen Stu­di­en­ab­schluss wie Magis­ter, Diplom oder Staats­examen. Vie­ler­orts gibt es die Wahl aber gar nicht mehr. Die Fach­hoch­schu­len haben deutsch­land­weit gerech­net sogar eine Bache­lor-Anfän­ger­quote von 85 Pro­zent. Gleich­zei­tig wird beklagt, dass ein Upgrade vom klei­nen iPod zum aus­ge­wach­se­nen iPhone oft schwer ist, die Über­gänge ins Mas­ter­stu­dium seien intrans­pa­rent, mit unnö­ti­gen Hürden ver­se­hen oder würden iPods aus ande­ren Fabri­ken schlicht­weg ausschließen.

Wer dem Magis­ter und Diplom hin­ter­her­trau­ert, gilt als Gest­ri­ger, der seine Kas­set­ten­mixe noch manu­ell zusam­men­stellt, anstatt ein­fach die bewährte iPod-Zufalls­funk­tion zu ver­wen­den. Die iPod-Genera­tion hat ver­ges­sen, wie gut so ein eige­ner Kas­set­ten­mix sein kann. Die Songs bezo­gen sich auf­ein­an­der, gingen mal bewusst kon­tras­tiv inein­an­der über, führ­ten im nächs­ten Moment gekonnt von einer Musik­welt in die andere, ohne dass ein Über­gang zu hören gewe­sen wäre. Es wäre jetzt aber ver­fehlt, Magis­ter und Diplom gegen Bache­lor und Master aus­zu­spie­len. Zum einen gibt es Magis­ter und Diplom so gut wie nicht mehr, der Ver­gleich wäre also unfair. Zum ande­ren wollen wir den iPod-Abschlüs­sen ihre Jugend zugu­te­hal­ten, sie werden noch reifer und besser. Die aktu­ells­ten iPods erlau­ben mit der Genius-Funk­tion ziem­lich cle­vere Musik­mixe, die mit­un­ter an die alten manu­el­len her­an­rei­chen können.

Mehr können wollen

Der iPod-Ver­gleich lässt sich weiter stra­pa­zie­ren. Wer nur Musik hören möchte, greift zum kleins­ten Modell, wer auch Filme schauen und im Netz surfen möchte, zum iPod touch oder iPhone. Diese Master unter den iPods erlau­ben genau das, was viele auch mit ihren klei­nen iPods können wollen. Doch in den meis­ten Fällen genügt es, wenn ein iPod ein­fach Musik abspielt.

Aber was ist eigent­lich aus den Staats­examen gewor­den? Die iPod-Ana­lo­gie kann hier allen­falls in der Viel­zahl der Nano-Farben wei­ter­hel­fen: Jede Hoch­schule regelt, wie Bache­lor und Master gestal­tet sind, bei ehe­ma­li­gen Staats­examen regelt das das Bun­des­land. Das gilt nicht für das Saar­land, Sach­sen-Anhalt und Baden-Würt­tem­berg, dort ist die Umstel­lung von Lehr­amts­stu­di­en­gän­gen auf Bachelor/Master noch nicht gesche­hen. Unge­klärt und umstrit­ten ist vie­ler­orts, ob ein iPod genügt, um als Lehrer zu arbei­ten, oder ob man sich zum iPhone qua­li­fi­zie­ren muss.

Das klas­si­sche Jura-Stu­dium ist noch nicht umge­stellt, nur Wirt­schafts­ju­ris­ten oder Sach­be­ar­bei­ter dürfen sich für einen Bache­lor oder Master ent­schei­den. 2011 will die Jus­tiz­mi­nis­ter­kon­fe­renz das Thema erneut bespre­chen. Auch das klas­si­sche Medi­zin­stu­dium ver­wei­gert sich noch der Bache­lori­sie­rung, und die Theo­lo­gen haben ein Misch­sys­tem, wobei sich das Diplom für Pries­ter oder Pfar­rer am Stu­di­en­punk­te­sys­tem von Bachelor/Master orientiert.

Hinkender Vergleich

Apple würde sich bei dem Chaos auf dem deut­schen Bil­dungs­markt sicher gegen einen solch mas­si­ven Ver­gleich mit ihrem iPod ver­wah­ren. Denn letzt­lich über­wie­gen doch die Unter­schiede. Aus einem Bache­lor kann ein Mas­ter werden – ein iPod wird kein iPhone. Ein in Aus­tra­lien gekauf­ter iPod funk­tio­niert auch in Deutsch­land – ein Ber­li­ner Bache­lor kann in einem ande­ren Bun­des­land schon wert­los sein, gerade beim Ver­such, zum Master upzu­gra­den. Bei der iPod-Ent­wick­lung hört man darauf, womit Kunden zufrie­den sind oder was sie noch möch­ten – der Bache­lor wurde 1998 beschlos­sen, da dachte noch keiner an iPods und iPho­nes, und mög­li­cher­weise nicht einmal an Studenten.

Damit sind Bache­lor und Master wohl eher ein Micro­soft Zune: Er leug­net, dass es iPods gibt, möchte aber gern ein iPod sein und kann auch irgend­wie das meiste, was ein iPod kann – trotz­dem will ihn keiner.

Über Peter Schoh (20 Artikel)
Eher der heiteren Seite des studentischen Lebens zugewandt. Hält Berlin für die tollste Stadt der Welt und glaubt nicht, dass es eine schönere Zeit als die des Studierens gibt.