Ein Tropfen voll Wahrheiten
In Sanguine Veritas – Blutuntersuchungen verraten alles über einen Menschen. Schnell können Bewerber mit scheinbar Weißer Weste dabei ihr sauberes Image verlieren.
„Tränen lügen nicht“, sang der Schlagersänger Michael Holm 1974. Blut aber auch nicht, denken sich wohl einige Arbeitgeber und bitten ihre Bewerber vor Vertragsabschluss zum Abzapfen. Unter ihnen der Automobilkonzern Daimler, der im Oktober damit für Schlagzeilen sorgte. NDR-Journalisten deckten auf, dass Bewerber sich einem Bluttest unterziehen sollten. Pikantes Detail: Auch die Sendeanstalt NDR testet ihre Mitarbeiter vor Vertragsabschluss auf Herz und Blut. Datenschützer, Arbeitsrechtler und Gewerkschaftler sind alarmiert. Sie sehen in den noch nicht rechtlich geregelten Bluttests die Persönlichkeitsrechte der Arbeitnehmer gefährdet. Denn während der Bewerber im Gespräch bei gewissen Fragen lügen kann, lässt eine Blutuntersuchung keine Fragen offen.
Viel Lärm um Nichts?
Der Automobilbauer Daimler und die Sendeanstalt NDR sind mit ihren eigenwilligen Bewerbungsanforderungen bei Weitem nicht die einzigen. Auch WDR, BR und MDR sowie der Kosmetikhersteller Beiersdorf und das Pharma-Unternehmen Merck verlangen laut „Spiegel online“ Bluttests von ihren Bewerbern. Die tatsächliche Anzahl der Firmen ist nur zu erahnen. Öffentlich darüber sprechen will keiner, allenfalls gibt es nach einer Bloßstellung Erklärungen: Der Bluttest, rechtfertigt sich der NDR gegenüber „Spiegel online“, erfolge erst nach der Jobzusage und vor Vertragsunterzeichnung, sei aber kein Auswahlkriterium. Viel Lärm um Nichts also? Denn tatsächlich sind Gesundheitschecks in manchen Berufen erforderlich und gesetzlich vorgeschrieben.
Gesetzlich vorgeschriebene Medizinchecks beim Arbeitgeber
„Für Jugendliche ist die medizinische Untersuchung im Jugendarbeitsschutzgesetz geregelt. Personen, die einer Tätigkeit im Lebensmittelbereich nachgehen, müssen zum Schutz der Allgemeinheit ein Gesundheitszeugnis vorlegen. Auch für Personen, die mit Gefahrenstoffen oder Strahlenbelastungen umgehen müssen, ist die medizinische Untersuchung zum Eigenschutz vorgeschrieben. Darüber hinaus untersuchen lassen müssen sich Personen, die besondere Verantwortung für andere tragen, etwa Piloten, Busfahrer, Lokführer oder Ärzte. Auch im öffentlichen Dienst gibt es tarifvertragliche Ermächtigungen für ärztliche Untersuchungen“, erklärt Rechtsanwältin und Arbeitsrechtsexpertin Stephanie Musiol von der Berliner Kanzlei Bethge Reimann Stari.
Was wird untersucht?
Ziel der medizinischen Untersuchung ist: Der Arbeitgeber will gesunde Mitarbeiter, die den Anforderungen des Arbeitsplatzes gewachsen sind. Gesetzlich vorgeschriebene Medizintests umfassen einen Organcheck von Herz, Lunge und Leber. Untersucht werden Blutdruck, Puls, Blut und Urin, um Entzündungen wie Zuckerkrankheit und Leberkrankheiten festzustellen. Der Bluttest geht aber über „eine normale Einstellungsuntersuchung hinaus“, wie Musiol betont. Denn anders als der Gesundheitscheck kann der Bluttest umfassende Hinweise auf HIV, Drogen- oder Alkoholkonsum, genetische Veranlagungen, Schwangerschaft und Erberkrankungen liefern.
Was passiert mit den Testergebnissen?
Der zuständige Arzt darf keine Aussagen zu Diagnosen, Krankheitsverläufen oder Schwangerschaften machen. Er unterliegt der Schweigepflicht. Lediglich eine Gesamtbeurteilung hinsichtlich der Tauglichkeit des Bewerbers für den Beruf darf an den Arbeitgeber weitergereicht werden. Ergebnisse und Befunde der Untersuchung bleiben somit beim Arzt. Auch hier fiel Daimler negativ auf, als man herausfand, dass Krankendaten über Mitarbeiter illegal gespeichert wurden.
Ist der Bluttest rechtens?
Für Bluttests gibt es derzeit noch keine rechtlich festgeschriebenen Regeln. Die Unternehmen nutzen einen weiten Spielraum, denn Gerichtsurteile darüber, ob der Bluttest rechtens ist, gibt es bislang kaum. Musiol betont jedoch, dass aufgrund des erheblichen Grundrechtseingriffs „hohe Hürden an die Erforderlichkeit eines Bluttests zu stellen sind.“ Dieser muss im berechtigten Interesse des Arbeitgebers liegen. Es gelten dabei dieselben Grundsätze wie beim Fragerecht des Arbeitgebers im [intlink id=“785” type=“post”]Bewerbung[/intlink]sgespräch. Danach darf nur dann ein Test vom Bewerber gefordert werden, „wenn für den Arbeitsplatz eine bestimmte gesundheitliche Eignung zwingend erforderlich ist und eine Krankheit oder Behinderung die vertragsmäßige Leistung daher unmöglich machen würde“, so die Rechtsanwältin. Der Bluttest, der beispielsweise Auskunft über die HIV-Infektion einer Krankenschwester gibt, ist somit im Interesse ihres Berufes, anders als die HIV-Infektion eines Bankangestellten. „Wonach der Arbeitgeber nicht fragen darf, soll er auch nicht auf einem Umweg über Ärzte oder Gutachter erforschen“, erklärt Musiol.
Freiwilligkeit der Tests
Immer wieder betonen Arbeitgeber die Freiwilligkeit solcher Tests. Doch diese ist rein theoretischer Natur. Der Bewerber kann die Zustimmung zwar verweigern, das dürfte allerdings regelmäßig die Nichteinstellung zur Folge haben. Die Möglichkeiten des Bewerbers sind daher eingeschränkt. Denn ein unzulässig angeforderter Bluttest kann „allenfalls einen Schadensersatz, nicht jedoch einen Einstellungsanspruch begründen“, so die Juristin. Ein Blick auf die aktuelle Arbeitsmarktlage lässt dann doch vermuten, dass das Motto der meisten Bewerber lautet: Tausche Blut gegen Job.