Mit fremder Feder

Blü­ten­rein soll unsere aka­de­mi­sche Kar­riere sein. Doch die Ver­su­chung zum Pla­giat ist groß. Wer kann ihr widerstehen?

Ein scheinbar kleiner Lapsus hinterlässt große störende Flecken im Lebenslauf. Ein Plagiat kann die Weiße Weste dauerhaft ruinieren. Foto: Albrecht Noack
Die Foto­serie schoss Albrecht Noack spe­ziell für dieses Titel­thema. Hier noch ein paar Motive, die wir nicht im Heft ver­wendet haben.

Men­schen sind faul. Stu­den­ten sind es beson­ders, auch wenn sie das kaum zuge­ben. Wer könnte der Ver­su­chung wider­ste­hen, einen klugen Gedan­ken, den er auf­ge­schnappt hat, als eige­nen aus­zu­ge­ben? Was im Small Talk noch Usus ist, gehört sich im wis­sen­schaft­li­chen Betrieb nicht. Hier muss jede Behaup­tung, jede Ana­lyse und jeder Fakt nach­voll­zieh­bar prä­sen­tiert werden. Dazu gehört, dass man all seine Quel­len benennt.

Neu­lich bekam Alex eine eMail von einer Pro­fes­so­rin. Er hatte früher seine Haus­ar­bei­ten auf seiner pri­va­ten Home­page ver­öf­fent­licht. Die Pro­fes­so­rin bat darum, einen dieser Texte als Ori­gi­nal-Datei zu bekom­men: In einer bei ihr frisch ein­ge­reich­ten Arbeit kämen ihr Pas­sa­gen bekannt vor. Aller­dings fehl­ten offen­bar die Zitat­an­ga­ben – Ver­dacht auf Plagiat.

Online-Klau ist dämlich

Der­einst war das Pla­gi­ie­ren theo­re­tisch ein­fach: Man brauchte nur aus Werken abzu­schrei­ben, von denen man wusste, dass der Dozent sie nicht kennt. Heute kennen Dozen­ten deut­lich mehr als sie selbst gele­sen haben. Moderne Such­tech­no­lo­gien machen es mög­lich. Eine mar­kante Phrase in Google ein­zu­ge­ben, ist noch die ein­fachste Vari­ante. Meh­rere Firmen bieten Soft­ware an, die Texte auf Pla­giate durch­sucht, und grei­fen dabei im Hin­ter­grund auf zahl­rei­che Daten­ban­ken, Such­an­bie­ter und sta­tis­ti­sche Ana­ly­se­ver­fah­ren zurück.

Vor eini­gen Jahren ist die HTW-Pro­fes­so­rin Dr. Debo­rah Weber-Wulff mit ihren Erkennt­nis­sen zu stu­den­ti­schen Pla­gia­ten an die Öffent­lich­keit gegan­gen. Seit­dem gilt sie als Exper­tin für Ideen­klau. Sie weist auf meh­rere Aspekte hin, die zum Abschrei­ben ver­füh­ren. Es sei oft der schein­bar ein­fachste Weg für Stu­die­rende, die unter Zeit­druck stehen, denen wenig wis­sen­schaft­li­ches Ethos ver­mit­telt wurde und die sich mit Themen nicht iden­ti­fi­zie­ren können. Sie weiß, dass es kein ulti­ma­ti­ves Mittel gegen Pla­giate gibt; aber mit moder­nen Mög­lich­kei­ten sind sie auf­zu­spü­ren. Oft werden Dozen­ten beim Lesen skep­tisch, wenn der Schreib­stil wech­selt, Fremd­wör­ter falsch oder unge­wöhn­lich ver­wen­det werden, Argu­men­ta­ti­ons­brü­che ent­ste­hen oder manche Aus­sa­gen dem Stu­den­ten ein­fach nicht ent­spre­chen. Doch dazu muss der Dozent seine Stu­den­ten gut kennen und Zeit haben, Haus­ar­bei­ten gründ­lich und in Ruhe zu lesen.

Keine Standards für Plagiate

Schät­zun­gen gehen davon aus, dass jede fünfte Haus­ar­beit in die Kate­go­rie „Pla­giat“ fällt. Oft werden nicht ein­fach fremde Arbei­ten unter eige­nem Namen abge­ge­ben, son­dern Sätze oder Absätze ohne Quel­len­an­gabe über­nom­men. Manche Stu­den­ten sind zumin­dest so „clever“ und for­mu­lie­ren die Gedan­ken um oder über­set­zen sie aus ande­ren Spra­chen. Was es den Stu­den­ten eben­falls erleich­tert, ist der unter­schied­li­che Umgang mit Pla­gia­ten. Manche Dozen­ten gehen locker drüber hinweg und for­dern ein­fach eine neue Fas­sung der Arbeit an. Andere lassen den Stu­den­ten durch­fal­len. Bei wie­der­hol­tem Pla­giat kann ein Stu­dent auch zwangs­ex­ma­tri­ku­liert werden – sofern das Pla­giat bekannt wird. Mit­un­ter eini­gen sich Stu­dent und Dozent auch ohne Aktenvermerk.

Der Kampf gegen Pla­giate ist auf­wän­dig, der Image­scha­den für das Insti­tut oft hoch. All­ge­meine Stan­dards exis­tie­ren nicht. Jeder Dozent geht quasi allein auf die Jagd nach Pla­gia­ten – und bei Fahn­dungs­er­folg gibt es keine Aner­ken­nung. Somit schwankt der Umgang damit von Dozent zu Dozent, von Insti­tut zu Insti­tut. Einig sind sich aber alle, dass Pla­giate ver­werf­lich sind, unter­bun­den werden müssen und ver­wen­den oft auch die gän­gi­gen Mittel – wie eben bei­spiels­weise Soft­ware – zum Aufspüren.

Das Risiko, erwischt zu werden, steigt von Semes­ter zu Semes­ter. Die Dozen­ten rüsten nicht nur mit Soft­ware auf, son­dern widmen sich auch stär­ker dem Pro­blem. Der Aus­tausch über Fächer­gren­zen hinweg, Über­le­gun­gen zu ein­heit­li­chen Sank­tio­nen und ein Anspre­chen statt Weg­schauen lassen Pla­gia­to­ren kaum Chan­cen. Auch wenn die Soft­ware noch lange nicht per­fekt funk­tio­niert, auch wenn man­ches Pla­giat vom Dozen­ten nicht erkannt wird, auch wenn es gerade keinen pro­mi­nen­ten Fall gibt – wer abschreibt, beschmutzt nicht nur die eigene Weste. Ein Pla­gia­tor gefähr­det seinen Abschluss und damit seine Kar­riere und hat ein­fach nicht ver­stan­den, was es bedeu­tet, wis­sen­schaft­lich zu arbeiten.

Nachtrag (August 2011)

Mit dem Fall Gut­ten­berg hat das Thema Pla­giat eine breite Dis­kus­sion aus­ge­löst. Zahl­rei­che andere Pla­gia­to­ren und Pla­giate-Ein­rei­che­rin­nen wie die FDP-Poli­ti­kern Sil­vana Koch-Mehrin wurden seit­dem bloß­ge­stellt. Enthu­si­as­tisch suchen Frei­wil­lige die Arbei­ten Pro­mi­nen­ter auf Ver­dachts­fälle ab. Viel zu oft werden sie fündig. Da wäh­rend des Stu­di­ums noch nie­mand seine spä­tere Pro­mi­nenz abschät­zen kann, gilt allein schon aus kar­rie­retak­ti­schen Grün­den: Abschrei­ben lohnt sich (ver­mut­lich) nicht.

Die lang­fris­ti­gen Wir­kun­gen auf den Wis­sen­schafts­be­trieb und das wis­sen­schaft­li­che Ethos sind noch gar nicht abzusehen.

Über Robert Andres (33 Artikel)
Computerfreak und enthusiastischer Student. Vollblut-Berliner, der beinahe gern Lehrer geworden wäre.