Initiative “Arbeiterkind”
Die erste Generation einer Familie, die an eine Hochschule geht, hat es schwer. Unterstützung bekommen sie bei der Arbeitsgruppe „Arbeiterkinder“.

„Wozu Studieren? Damit wirst du doch eh nur Taxifahrer“, hören junge Hochschulabgänger aus nicht-akademischen Elternhäusern häufig. Wenn in Familien der akademische Hintergrund fehlt, sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass die Kinder eine Hochschule besuchen, drastisch. Woran das liegt und wie sich das ändern soll, erklärt uns Vivien Hinz, die Leiterin der Berliner Arbeitsgruppe von „Arbeiterkind.de“.
Mit dem Abitur ist es jedem freigestellt, eine Hochschule zu besuchen. Warum zeigt die Statistik, dass Kinder aus Arbeiterfamilien eine deutliche Minderheit unter den Studierenden darstellen?
Das liegt oft daran, dass die Eltern über die Chancen und Perspektiven eines abgeschlossenen Studiums selbst nicht Bescheid wissen. Darum können sie es ihren Kindern auch nicht empfehlen. Mitunter wird ihnen sogar davon abgeraten, und es wird eher darauf gedrängt, eine Lehre zu machen, um möglichst schnell Geld zu verdienen.
Und Fragen zum Studium können die Eltern auch nicht beantworten.
Richtig! Weder zur Studienfachwahl, noch zur Finanzierung können die Eltern Auskünfte geben — ganz zu schweigen vom Schreiben einer Hausarbeit. Die jungen Leute leiden unter einem enormen Informations mangel. Auch das hält sie vom Studieren ab.
Also habt ihr dafür vor zwei Jahren eine Initiative gegründet. Was macht ihr genau?
Wir ermutigen junge Menschen, die als erste in ihrer Familie studieren wollen, dazu, diesen Weg wirklich zu gehen, und vor allem stopfen wir jede Menge Wissenslöcher. Wir halten Vorträge in Schulklassen, wir sprechen den jungen Leuten Mut zu, informieren sie darüber, dass es uns gibt und klären die wichtigsten Fragen gleich vor Ort.
Gibt es schon Erfolge?
Oh ja! Vor einiger Zeit hatten wir einen ganz besondern Fall. Eine junge Frau aus Berlin kam zu uns mit dem dringenden Wunsch zu studieren. Mit Mühe und Not hatte sie im dritten Anlauf ihr Fachabi bestanden. Ihr Selbstvertrauen ging gegen Null. Dabei war sie sehr intelligent und fleißig. Leider hatte sie privat sehr viele Baustellen und schulisch erhielt sie kaum Unterstützung. Als erstes haben wir sie wieder motiviert. Dann haben wir ihre Perspektiven beleuchtet und mit ihr einen Studienplan entworfen – also Fragen zur Studienfachwahl und zur Studienfinanzierung und so weiter – geklärt. Heute sitzt sie an einer Berliner Fachhochschule und studiert mit einem wahnsinnigen Kampfgeist. Ihre Leistungen sind so gut, dass sie nun in der engeren Auswahl für ein Stipendium ist.
Das ist ja ein richtiges Erfolgsmärchen! Habt ihr noch Kontakt zu ihr?
Ja natürlich! Wir begleiten unsere Studenten durchs ganze Studium. Wir sind ein deutschlandweites Netzwerk von über 2.000 ehrenamtlich arbeitenden Mentoren, jeder Einzelne als Spezialist seiner eigenen Bildungsbiografie. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es Fragen gibt, die wir nicht beantworten können.
Als junger Schulabgänger hat man aber meist nicht die Mittel, um sich vieles zu leisten. Was kostet denn der Dienst bei euch?
Nichts! Wir verlangen nichts von unseren Schülern und Studenten außer Eigeninitiative und etwas Engagement.
Wie findet man euch denn?
Die jeweiligen Ortsgruppen treffen sich regelmäßig zum Stammtisch. Wann und wo wir uns treffen, steht dann auf der Homepage. Ansonsten kann man die Berliner Gruppe auch direkt per eMail erreichen. Wir freuen uns auf jeden Neuzugang.
Ihr seid also ein lockeres und unkompliziertes Netzwerk. Der Name „Arbeiterkind“ klingt schon etwas provokant. Ist das Absicht?
Klar ist das Absicht. Auf der einen Seite erregt das eine Menge Medien aufmerksamkeit, was gut für uns ist. Auf der anderen Seite identifizieren wir uns mit diesem Begriff, und es spornt uns umso mehr an, als Arbeiterkind als erster aus der Familie zu studieren.