Initiative “Arbeiterkind”

Die erste Genera­tion einer Fami­lie, die an eine Hoch­schule geht, hat es schwer. Unter­stüt­zung bekom­men sie bei der Arbeits­gruppe „Arbei­ter­kin­der“.

Vivien Hinz (vorderste Reihe) koordiniert seit November die Berliner Gruppe. Begleitend studiert sie Sozialmanagement. (Foto: Wolf Dermann).

„Wozu Stu­die­ren? Damit wirst du doch eh nur Taxi­fah­rer“, hören junge Hoch­schul­ab­gän­ger aus nicht-aka­de­mi­schen Eltern­häu­sern häufig. Wenn in Fami­lien der aka­de­mi­sche Hin­ter­grund fehlt, sinkt die Wahr­schein­lich­keit, dass die Kinder eine Hoch­schule besu­chen, dras­tisch. Woran das liegt und wie sich das ändern soll, erklärt uns Vivien Hinz, die Lei­te­rin der Ber­li­ner Arbeits­gruppe von „Arbeiterkind.de“.

Mit dem Abitur ist es jedem freigestellt, eine Hochschule zu besuchen. Warum zeigt die Statistik, dass Kinder aus Arbeiterfamilien eine deutliche Minderheit unter den Studierenden darstellen?

Das liegt oft daran, dass die Eltern über die Chan­cen und Per­spek­ti­ven eines abge­schlos­se­nen Stu­di­ums selbst nicht Bescheid wissen. Darum können sie es ihren Kin­dern auch nicht emp­feh­len. Mit­un­ter wird ihnen sogar davon abge­ra­ten, und es wird eher darauf gedrängt, eine Lehre zu machen, um mög­lichst schnell Geld zu verdienen.

Und Fragen zum Studium können die Eltern auch nicht beantworten.

Rich­tig! Weder zur Stu­di­en­fach­wahl, noch zur Finan­zie­rung können die Eltern Aus­künfte geben — ganz zu schwei­gen vom Schrei­ben einer Haus­ar­beit. Die jungen Leute leiden unter einem enor­men Infor­ma­ti­ons mangel. Auch das hält sie vom Stu­die­ren ab.

Also habt ihr dafür vor zwei Jahren eine Initiative gegründet. Was macht ihr genau?

Wir ermu­ti­gen junge Men­schen, die als erste in ihrer Fami­lie stu­die­ren wollen, dazu, diesen Weg wirk­lich zu gehen, und vor allem stop­fen wir jede Menge Wis­sens­lö­cher. Wir halten Vor­träge in Schul­klas­sen, wir spre­chen den jungen Leuten Mut zu, infor­mie­ren sie dar­über, dass es uns gibt und klären die wich­tigs­ten Fragen gleich vor Ort.

Gibt es schon Erfolge?

Oh ja! Vor eini­ger Zeit hatten wir einen ganz beson­dern Fall. Eine junge Frau aus Berlin kam zu uns mit dem drin­gen­den Wunsch zu stu­die­ren. Mit Mühe und Not hatte sie im drit­ten Anlauf ihr Fach­abi bestan­den. Ihr Selbst­ver­trauen ging gegen Null. Dabei war sie sehr intel­li­gent und flei­ßig. Leider hatte sie privat sehr viele Bau­stel­len und schu­lisch erhielt sie kaum Unter­stüt­zung. Als erstes haben wir sie wieder moti­viert. Dann haben wir ihre Per­spek­ti­ven beleuch­tet und mit ihr einen Stu­di­en­plan ent­wor­fen – also Fragen zur Stu­di­en­fach­wahl und zur Stu­di­en­fi­nan­zie­rung und so weiter – geklärt. Heute sitzt sie an einer Ber­li­ner Fach­hoch­schule und stu­diert mit einem wahn­sin­ni­gen Kampf­geist. Ihre Leis­tun­gen sind so gut, dass sie nun in der enge­ren Aus­wahl für ein Sti­pen­dium ist.

Das ist ja ein richtiges Erfolgsmärchen! Habt ihr noch Kontakt zu ihr?

Ja natür­lich! Wir beglei­ten unsere Stu­den­ten durchs ganze Stu­dium. Wir sind ein deutsch­land­wei­tes Netz­werk von über 2.000 ehren­amt­lich arbei­ten­den Men­to­ren, jeder Ein­zelne als Spe­zia­list seiner eige­nen Bil­dungs­bio­gra­fie. Ich kann mir nicht vor­stel­len, dass es Fragen gibt, die wir nicht beant­wor­ten können.

Als junger Schulabgänger hat man aber meist nicht die Mittel, um sich vieles zu leisten. Was kostet denn der Dienst bei euch?

Nichts! Wir ver­lan­gen nichts von unse­ren Schü­lern und Stu­den­ten außer Eigen­in­itia­tive und etwas Engagement.

Wie findet man euch denn?

Die jewei­li­gen Orts­grup­pen tref­fen sich regel­mä­ßig zum Stamm­tisch. Wann und wo wir uns tref­fen, steht dann auf der Home­page. Ansons­ten kann man die Ber­li­ner Gruppe auch direkt per eMail errei­chen. Wir freuen uns auf jeden Neuzugang.

Ihr seid also ein lockeres und unkompliziertes Netzwerk. Der Name „Arbeiterkind“ klingt schon etwas provokant. Ist das Absicht?

Klar ist das Absicht. Auf der einen Seite erregt das eine Menge Medien auf­merk­sam­keit, was gut für uns ist. Auf der ande­ren Seite iden­ti­fi­zie­ren wir uns mit diesem Begriff, und es spornt uns umso mehr an, als Arbei­ter­kind als erster aus der Fami­lie zu studieren.

www.arbeiterkind.de

berlin@​arbeiterkind.​de

Über Frank Döllinger (12 Artikel)
Das Schreiben war schon immer meine Leidenschaft, sowie eine Begeisterung für Naturwissenschaft und Technik zu mir gehört. Nach einer Ausbildung in der Biotechnologie, bin ich nun auch dabei mein interdisziplinäres Fachwissen, um Kenntnisse in der Physik, Mathematik und Informatik zu erweitern. Als Student der "Naturwissenschaften in der Informationsgesellschaft" an der TU-Berlin versuche ich fächerübergreifendes Wissen mit redaktioneller Arbeit zu verknüpfen. Die Mitarbeit bei Stadtstudenten.de macht mir sehr viel Spaß - neben der vielen Erfahrungen die man hier macht.

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