Was bleibt

62. Ber­li­nale “Was bleibt” im Wett­be­werb — Für Aus-der-Heimat-in-die Groß­stadt-Flie­hende, Geschwis­ter­kin­der und alle, die glau­ben, dass es in ihrer Fami­lie scheiße läuft

Gruppenfoto der Schauspieler des Films Die Idylle, die "Was bleibt" zu Beginn aufbaut, zerfällt langsam, aber unaufhaltsam - bis sie letztendlich ganz in sich zusammenfällt. Foto: Gerald von Foris/PR

Das sagt das Programm:

Marko ist Anfang drei­ßig und lebt seit seinem Stu­dium in Berlin – weit genug ent­fernt von seinen Eltern Gitte und Günter, mit deren bür­ger­li­chen Lebens­ent­wurf er sich nie recht anfreun­den wollte. Ein, zwei Mal im Jahr besucht er die beiden, in erster Linie um ihnen ein paar gemein­same Tage mit ihrem Enkel, Markos fünf­jäh­ri­gem Sohn Zowie, zu ermöglichen.

Marko hofft auf ein halb­wegs ruhi­ges Wochen­ende in der Klein­stadt, doch es gibt Neu­ig­kei­ten: Gitte, die seit Markos Kind­heit manisch-depres­siv ist, fühlt sich nach einer homöo­pa­thi­schen Behand­lung zum ersten Mal seit langer Zeit wieder gesund. Sie ver­zich­tet auf ihre Medi­ka­mente und baut auf einen gemein­sa­men Lebens­abend an der Seite ihres Mannes, nicht ahnend, dass sie mit ihrer uner­war­te­ten Gene­sung seine Pläne durch­kreuzt. Auch Markos jün­ge­rer Bruder Jakob und dessen Lebens­ge­fähr­tin Ella stehen an einem Wen­de­punkt, denn Jakob rich­tet sich mehr und mehr auf ein Leben in Blick­nähe zu seinen Eltern – vor allem zu Gitte – ein, Ella hin­ge­gen würde gern ihre beruf­li­chen Pläne erst mal im Aus­land weiterverfolgen.

Markos Anwe­sen­heit wirkt wie ein Kata­ly­sa­tor, er pro­vo­ziert die Kon­fron­ta­tion mit den unaus­ge­spro­che­nen Wahr­hei­ten, die Fas­sade des har­mo­ni­schen Fami­li­en­le­bens bröckelt.

Das sagen wir:

Eigent­lich sollte sich jeder Stu­dent, der sich nach dem Semes­ter­ende auf den Weg zu den Eltern nach Hause macht, “Was bleibt” anschauen. Plötz­lich erschei­nen einem die Strei­te­reien, in die man nach eini­gen Tagen im Eltern­haus wieder fällt, gar nicht mehr so schlimm. Am Ende ver­ab­schie­den sich alle wieder mehr oder weni­ger har­mo­nisch von­ein­an­der und beim nächs­ten Mal fängt der selbe Spaß wieder von vorne an.

Hans-Chris­tian Schmid (“Crazy”) beginnt seinen Film in Berlin, genauer gesagt vor der HU-Biblio­thek, dem Grimm-Zen­trum. Marko (Lars Eidin­ger), der Prot­ago­nist von “Was bleibt”, ist nach seinem Stu­dium in Berlin geblie­ben und macht nun mit seinem Sohn Zowie einen Zwangs­be­such übers Som­mer­wo­chen­ende in seine pro­vin­zi­el­len Heimat. Dass Zowies Mutter nicht mit­kommt, weil das Paar schon eine ganze Zeit getrennt ist — nicht den Eltern sagen. Sie bloß nicht mit dem eige­nen, wahren Leben beunruhigen.

Das Wochen­ende, für Marko ein not­wen­di­ges Übel, plant seine depres­sive Mutter Gitte (Corinna Har­fouch) hin­ge­gen schon seit eini­ger Zeit: Sie will die Gele­gen­heit, in der die ganze Fami­lie ver­sam­melt ist, nutzen, um einen neuen Lebens­ab­schnitt zu begin­nen: ihr pen­sio­nier­ter Gatte jetzt mit viel Zeit und sie ohne Anti-Depres­siva. Doch dieses Traum­schloss fällt lang­sam in sich zusam­men, je mehr aus den Dop­pel­le­ben bekannt wird, die in dieser Fami­lie geführt werden.

“Was bleibt” dis­ku­tiert die Frage, wie viel man von sich in einer Gruppe preis­gibt, die von der Gesell­schaft immer noch als eine der intims­ten und ver­trau­ens­volls­ten Bezie­hungs­kon­stel­la­tion über­haupt ange­se­hen wird, der Fami­lie. Mit star­ken Pin­sel­stri­chen skiz­ziert Regis­seur Schmid fami­liäre Unklar­hei­ten in der heu­ti­gen Zeit und deckt die Heile-Welt-Maske auf, die man ein, zwei­mal im Jahr auf­setzt, wenn man seine Fami­lie trifft — nur um kurz darauf den Ver­such, die emo­tio­nale Nähe mini­mal zu halten, gran­dios schei­tern und in einer Kata­stro­phe gip­feln zu lassen.

Ob “Was bleibt” von der Jury in die engere Aus­wahl um den Gol­de­nen Bären genom­men wird, bleibt abzu­war­ten. Nichts­des­to­trotz ist Hans-Chris­tian Schmid ein poin­tier­tes Por­trät zwi­schen meh­re­ren Polen gelun­gen: Zwi­schen Groß­stadt und Pro­vinz, Ver­gan­gen­heit und Gegen­wart, Alltag und dessen Zusammenbruch.

Ein Film für:

Aus-der-Heimat-in-die Groß­stadt-Flie­hende, Geschwis­ter­kin­der und alle, die glau­ben, dass es in ihrer Fami­lie scheiße läuft

Wann im Programm?

  • Di 14.02. 16:30
    Ber­li­nale Palast (E)
  • Mi 15.02. 09:30
    Fried­rich­stadt-Palast (E)
  • Do 16.02. 20:30
    Haus der Ber­li­ner Fest­spiele (E)

Ber­li­nale Goes Kiez

  • Fr 17.02. 21:30
    Hacke­sche Höfe Kino (E)
Über Jan Lindenau (25 Artikel)
kann sich nicht daran erinnern, jemals gesagt zu haben, dass er „irgendwas mit Medien machen will“. Ist trotzdem irgendwie Chefredakteur der spree geworden. Große Leidenschaft für Sprache, Literatur, Russland - und ja, Medien.