“Blut muss fließen” — Undercover unter Nazis

62. Ber­li­nale “ ‚Blut muss flie­ßen‘ — Under­co­ver unter Nazis” im Pan­orama — Für taz-Lese­rIn­nen, Günter-Wall­raff-Fans und alle, die wissen wollen, was mit ihren GEZ-Gebüh­ren nicht finan­ziert wird

Thomas Kuban auf der Bundespressekonferenz In Verkleidung und mit Pseudonym versucht Thomas Kuban die Politik auf Probleme hinzuweisen - ohne Erfolg. Foto: Berlinale

Das sagt das Programm:

Als der Jour­na­list Thomas Kuban zum ersten Mal ein Neo­nazi-Kon­zert mit ver­steck­ter Kamera drehte, ermög­lichte er Ein­bli­cke in eine Jugend­szene, in die sich kaum ein Außen­ste­hen­der hin­ein­wagt. Sechs Jahre später hat er rund 50 Under­co­ver-Drehs hinter sich, auch in Län­dern jen­seits deut­scher Grenzen.

Mit Rechts­rock junge Men­schen zu ködern und zu radi­ka­li­sie­ren – dieses Vor­ge­hen scheint gut zu funk­tio­nie­ren: Laut einer Studie ist der Rechts­ex­tre­mis­mus hier­zu­lande zur größ­ten Jugend­be­we­gung gewor­den. Um die Musik­ver­an­stal­tun­gen hat sich ein blü­hen­der Markt ent­wi­ckelt: CDs der ein­schlä­gi­gen Bands und Mer­chan­di­sing-Arti­kel werden in Eigen­re­gie pro­du­ziert und in Sze­ne­lä­den oder über das Inter­net ver­kauft. Auf diese Weise wird zugleich Geld für die Expan­sion der Bewe­gung generiert.

Der Autor Peter Ohlen­dorf hat Thomas Kuban auf seiner Reise durch Deutsch­land und Europa mit der Kamera beglei­tet, auch an Orte, an denen er zuvor ver­steckt gedreht hat. Im Fokus stehen dabei poli­ti­sche Ent­schei­dungs­trä­ger, Behör­den und Bürger.

Der Prot­ago­nist des Films muss uner­kannt blei­ben, sein Name ist folg­lich ein Pseud­onym. Die eigen­wil­lige Ver­klei­dung dient nicht nur seinem Schutz, son­dern the­ma­ti­siert in ihrer Über­poin­tie­rung zugleich die Rezep­tion seiner Person durch die Gesellschaft.

Das sagen wir:

Eine ver­steckte Kamera, rau­schende Bilder, Stim­men werden ver­zerrt. Das, was der Fil­me­ma­cher Peter Ohlen­dorf dem Zuschauer am Anfang von “ ‚Blut muss flie­ßen‘ — Under­co­ver unter Nazis” prä­sen­tiert, erin­nert weni­ger an einen Kino­film als an eine Sen­dung in den Vorabend-“Nachrichten” der pri­va­ten Fern­seh­sen­der. Doch dann geht es schnell zur Sache.

Bebende Rock­mu­sik in einer Scheune, bier­trin­kende Men­schen mit schwe­ren Stie­feln und wenig Haaren. Wir sehen Bilder eines deut­schen Naz­ikon­zerts. Unbe­klei­dete und fette Nazi-Körper klat­schen auf­ein­an­der, sie tanzen aggres­si­ven Pogo, am Ende recken sie ihre rech­ten Arme Rich­tung Bühne, ein mehr­fa­ches “Sieg Heil” schau­dert durch den Kino­saal. Will­kom­men in der Rea­li­tät, Szenen, die sich so jedes Wochen­ende in Deutsch­land abspie­len mag.

Eine Unmenge sol­cher erschre­cken­der Bilder hat Thomas Kuban inner­halb eines guten Jahr­zehnts inves­ti­ga­ti­ver Recher­che-Arbeit gesam­melt. In der Öffent­lich­keit zeigt er sich nur in einer Ver­klei­dung und mit seinem Pseud­onym, so konnte er die ganze Zeit seine Gesund­heit und sein Leben schüt­zen. Im Inter­net kur­sie­ren seit gerau­mer Zeit Mord­dro­hun­gen gegen den “Under­co­ver-Filmer”, wie er sagt.

Die Bilder der Naz­ikon­zerte sind in einen Erzähl­rah­men ein­ge­bet­tet. Von einer Kamera beglei­tet, fährt Thomas Kuban an die Orte dieser Kon­zerte und erzählt die dazu­ge­hö­rige Geschichte, erst dann blen­det die Spie­ge­lung seiner Son­nen­brille zu den ver­schre­cken­den Auf­nah­men über. “ ‚Blut muss flie­ßen‘ — Under­co­ver unter Nazis” geht dann noch einen Schritt weiter. Der Film zeigt die Anstren­gun­gen seines Prot­ago­nis­ten, das Thema der Nazi-Kon­zerte in die Öffent­lich­keit zu brin­gen. Grei­fen Fern­seh­sen­der noch gerne auf das abge­drehte Mate­rial zu und lösen so den ein oder ande­ren Skan­dal aus, ist das Inter­esse der großen Poli­tik gering.

Die Idee, das Phä­no­men von Naz­ikon­zer­ten in Europa dar­zu­stel­len, nament­lich dem ganzen deutsch­spra­chi­gen Raum, Ita­lien, Eng­land und Ungarn, ist nahe­lie­gend und öffnet so den Blick auf die inter­na­tio­nale Ver­net­zung der Szene. Leider nimmt sich der Film so im letz­ten Drit­tel einen Teil seiner Schlag­kraft. Wer tiefer in der Mate­rie drin­steckt, wird Namen und Bege­ben­hei­ten wie­der­erken­nen (etwa die braune Ver­gan­gen­heit des römi­schen Bür­ger­meis­ters Gianni Ale­manno), ande­ren Zuschau­ern mag jedoch die emo­tio­nale Ver­bin­dung fehlen, die der Film bisher dadurch gezo­gen hat, dass Naz­ikon­zerte auch vor der eige­nen Haus­tür statt­fin­den können.

Da Thomas Kuban für seine Recher­chen weder bei pri­va­ten Fern­seh­sen­dern noch den Öffent­lich-Recht­li­chen Geld­ge­ber finden konnte, muss er diese Tätig­keit von nun an ein­stel­len. Im anschlie­ßen­den Presse-Gespräch ver­deut­licht er diese pre­käre Situa­tion mit eini­gen Zahlen: Die Pro­duk­ti­ons­kos­ten für den Film betru­gen 200.000 Euro, er selber inves­tierte 130.000 Euro in die Recher­chen. Zum Ver­gleich nennt er die Ein­nah­men, welche die öffent­lich-recht­li­chen Anstal­ten seit dem Beginn seiner Recher­chen allein durch Gebüh­ren ein­ge­nom­men haben: 35 Mil­li­ar­den Euro.

Ein Film für:

taz-Lese­rIn­nen, Günter-Wall­raff-Fans und alle, die wissen wollen, was mit ihren GEZ-Gebüh­ren nicht finan­ziert wird.

Wann im Programm?

  • Do 16.02. 17:00
    Cine­Star 7 (E)
  • Fr 17.02. 12:00
    Cine­Star 7 (E)

Über Jan Lindenau (25 Artikel)
kann sich nicht daran erinnern, jemals gesagt zu haben, dass er „irgendwas mit Medien machen will“. Ist trotzdem irgendwie Chefredakteur der spree geworden. Große Leidenschaft für Sprache, Literatur, Russland - und ja, Medien.