Westerland

62. Ber­li­nale “Wes­ter­land” in Per­spek­tive Deut­sches Kino — Für beste Freunde, Lie­bende und alle, die wissen wollen, wie para­die­sisch Sylt im Winter aussieht

Burak YIgit und Wolfram Schorlemmer im Bett Cem (Burak Yigit) und Jesús (Wolfram Schorlemmer) richten sich in Cems Wohnung ihr eigenes Paradies ein. Foto: Fabian Spuck / Salzgeber Medien

Das sagt das Programm:

Sylt im Winter. Das Para­dies eisig und ver­las­sen. Am Strand ein Junge, Jesús, den es von irgend­wo­her auf die Insel ver­schla­gen hat. Cem, der beim Ord­nungs­amt der Insel jobbt und später Land­schafts­ar­chi­tek­tur stu­die­ren will, begeg­net Jesús, als der sich gerade eine Plas­tik­tüte über den Kopf zieht, um sich von der Welt zu verabschieden.Ein wun­der­bar schrä­ger Anfang einer lako­ni­schen Liebesgeschichte.

Regis­seur Tim Staf­fel inter­es­sierte die Frage, was eigent­lich pas­siert, wenn einer, der fest im Leben ver­an­kert ist, der Fami­lie, Freunde und den per­fek­ten Plan für seine Zukunft hat, auf einen trifft, der keinen Glau­ben mehr an sich, irgend­wen oder irgend­et­was hat. Was macht der Eine mit dem Ande­ren? Was pas­siert mit ihnen gemein­sam? Ist diese Gemein­sam­keit belastbar?

Der eine, Cem, stellt fest, dass alles, worauf er bisher aus war, viel­leicht gar kein so großes Gewicht für ihn hat. Und der andere, Jesús, für den schon lange nichts mehr wich­tig war, rea­li­siert auf einmal, dass da jemand ist, der ihm etwas bedeu­tet und dem er etwas bedeu­tet. Einzug der Idylle? Von wegen! Das Gift der gegen­sei­ti­gen Abhän­gig­keit zer­frisst das Paar von innen her.

Das sagen wir:

Es ist nicht ein­fach, diesen Film zu grei­fen. Gerade die Bezie­hung zwi­schen Jesús (Wolf­ram Schor­lem­mer) und Cem (Burak Yigit) bleibt vage, und über diese Bezie­hung zieht “Wes­ter­land” den aller­größ­ten Teil seiner Span­nung. Und oft gibt es Momente, in denen man als Zuschauer ratio­nal ver­sucht, sich einen Anknüp­fungs­punkt an diese Bezie­hung zu suchen. Eine solche Lese­art von “Wes­ter­land” Zwar ist es nett anzu­schauen, wie Cem seinen chao­ti­schen Freund Jesús vor seinem Arbeit­ge­ber ver­tei­digt. Doch erst die Rei­bungs­punkte in ihrer Bezie­hung, diese Momente, an denen sie ihr Ver­hält­nis und sich defi­nie­ren, sorgen für Gän­se­haut. Gän­se­haut, auf die man sich ein­las­sen muss, das heißt, den Film an sich ran­las­sen. Und so erkennt man die Nuan­cen in diese Die hellen, in denen beide gemein­sam in der Bade­wanne liegen. Die dunk­len, in denen Jesús Cem bis an den Rand seiner Beherr­schung bringt.

Vier Gebote haben sich die beiden Aus­er­wähl­ten, die im 2008 erschie­nen Roman von Regis­seur Tim Staf­fel noch Jesús und Moham­med heißen, auferlegt:
Du sollst nicht kiffen.
Du sollst nicht kotzen.
Du sollst nicht lügen.
Du sollst nicht sterben.
Ver­stöße seien nur mög­lich, wenn man diese gemein­sam bege­hen würde: ein emo­tio­na­les Wirr­warr ent­steht. Und so tau­melt man auch als Zuschauer durch den Film auf der Suche nach einem Anker­punkt, an dem man sich fest­hal­ten kann. Ist es die große Liebe? Die eine Freund­schaft? Oder viel­leicht beides?

Span­nend wird es immer, wenn Jesús und Cem die düs­te­ren Seiten einer Bezie­hung auf­de­cken, in der Emo­tio­nen nicht ratio­nal greif­bar sind und einen in die Ver­zweif­lung stür­zen können. Dass die beiden sowohl Lie­bende als auch Freunde sind, ver­viel­facht die Hilf­lo­sig­keit und zeigt, wie ver­schwom­men und unde­fi­nier­bar Bezie­hun­gen eigent­lich sind.  Denn jede unter­schei­det sich, von Person zu Person, von Moment zu Moment.

Tim Staf­fels Debüt­film erzählt eine trau­rige Lie­bes­epi­sode in Bil­dern, die sich von fros­tig-steril bis wollig-intim ihren Pro­ta­gio­nis­ten anpassen.

Ein Film für:

Beste Freunde, Lie­bende und alle, die wissen wollen, wie para­die­sisch Sylt im Winter aussieht.

Wann im Programm?

  • Mi 15.02. 19:30
    Cine­maxX 3 (E)
  • Do 16.02. 13:00
    Colos­seum 1 (E)
  • Do 16.02. 20:30
    Cine­maxX 1 (E)
Über Jan Lindenau (25 Artikel)
kann sich nicht daran erinnern, jemals gesagt zu haben, dass er „irgendwas mit Medien machen will“. Ist trotzdem irgendwie Chefredakteur der spree geworden. Große Leidenschaft für Sprache, Literatur, Russland - und ja, Medien.